1I. Abschnitt. Verschollenheit. $ 115. 289
daß man die Wahrscheinlichkeit zur Wirklichkeit erhebt, dann
muß natürlich das Ganze den Sinn haben: wir nehmen an:
der Verschollene ist an dem und dem Zeitpunkte und erst an
diesem verstorben, und auf diese Weise schließt sich an die
Todesvermutung von selber natürlich die Lebensvermutung
an. Vermute ich, daß jemand am 1. April 1903 und gerade
an diesem Zeitpunkt verstorben ist, so vermute ich damit von
selber, daß er bis zu diesem Zeitpunkt gelebt hat. Ent-
sprechend ist daher auch im bürgerlichen Gesetzbuch, & 19,
die Lebensvermutung aufgestellt.
B) Voraussetzungen.
ax) Ordentliche.
8 115.
I. Die Todeserklärung kann erfolgen nach Ablauf von
zehn Jahren seit der Verschollenheit oder vielmehr nach zehn
Jahren seit dem Ablauf des Jahres, in dem die Verschollenheit
eingetreten ist. Zwei Ausnahmen werden gemacht: Ist jemand
über 70 Jahre alt, so genügt es, wenn von da an eine fünf-
jährige Verschollenheit vorliegt; das gilt sowohl von dem Fall,
daß der Abwesende schon in dem Augenblick der Verschollen-
heit 70 Jahre alt ist, als auch von dem Fall, daß nach Beginn
der Verschollenheit die 70 Jahre erreicht werden. Eine zweite
Ausnahme ist die, daß vor Vollendung des 31. Jahres der
Tod nicht angenommen werden soll. Man berücksichtigt dabei,
daß etwa ein Vierzehnjähriger, der 10 Jahre lang keine
Nachricht von sich gibt, nicht mit dem nämlichen Maße ge-
messen werden darf, wie der volljährige, von dem ein folge-
richtiger und fortlaufender Briefwechsel zu erwarten steht,
88 13, 14 B.G.B.
II. Sind all diese Voraussetzungen gegeben, so ist die
Todeserklärung möglich; allerdings findet diese nur auf An-
trag irgend eines Beteiligten statt, 8 962 C.P.O. Der Grund
liegt darin: Wenn niemand ein genügendes Interesse daran
hat, das Aushülfsrecht eintreten zu lassen, so hat auch die
Rechtsordnung keinen genügenden Grund, von der Norm ab-
zugehen. Die Todeserklärung erfolgt im Aufgebotsverfahren
durch Urteil im Ausschlußtermin, $ 952, 960f. C.P.O. Das Ver-
Kohler, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts. 1. 19