Full text: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band. (1)

II. Abschnitt. Geschäftsbeschränkung. 8 127. 313 
letzteren zu Geschäftsbeschränkung. Man glaubte früher, 
den Unterschied darin zu finden, daß bei letzterer nicht eine 
förmliche Perversion vorliege, sondern nur ein Mangel der 
Entwicklung. Dieser Unterschied ließ sich aber medizinisch 
nicht festhalten, denn auch die Geisteskrankheit beruht in 
sehr vielen Fällen auf mangelnder Entwicklung von Teilen 
des Gehirnorgans, und auch wenn sie erst später eintritt, 
kann sie von Entwicklungsstörungen, mangelnder Widerstands- 
kraft usw. herrühren. Man könnte allerdings als Besonderheit 
der Geisteskrankheit Wahnideen, Zwangsvorstellungen usw. an- 
nehmen; jedoch wäre dies nicht zutreffend, denn eine Reihe 
von Geisteskrankheiten zeigt sich gerade in Stumpfsinn und 
höchster Teilnahmslosigkeit. Vielmehr kann man hier nur 
Grade unterscheiden und annehmen, daß Geisteskrankheit den 
stärkeren, Geistesschwäche den geringeren Grad der Unregel- 
mäßigkeit bedeutet!) und zwar wird man als Geistesschwäche 
diejenige Stufe geistiger Minderwertigkeit bezeichnen können, 
infolgederen jemand für bedeutendere, schwierigere Betätigun- 
gen des Rechtslebens nicht geeignet erscheint, während er bei 
sonstigen Betätigungen wohl noch wie ein gesunder Mensch 
handelt. Allerdings wird die Geistesschwäche nicht dadurch 
ausgeschlossen, daß jemand in gewissen technischen Dingen 
eine besondere Geschicklichkeit zeigt; sie ist immer vorhanden, 
wenn ihm die Fähigkeit, über das Rechtsleben einen Über- 
blick zu gewinnen, abgeht, und dies ist bei einseitiger tech- 
nischer Begabung nicht ausgeschlossen, ja nicht einmal selten.?) 
1I. Auch die Geistesschwäche soll nur dann zur Ent- 
mündigung führen, wenn der Geistesschwache seine Ange- 
legenheiten nicht zu besorgen vermag, 8 6 2.1 B.G.B.; es 
genügt nicht, wenn seine Art der Verkehrsbetätigung zwar 
eine eigenartige, vielfach etwas unbesonnene, wenig folge- 
richtige ist; vorausgesetzt ist vielmehr eine so schlimme Art 
1) Daß der Unterschied ein Gradesunterschied ist, wird jetzt über- 
wiegend angenommen, O.1.G. Dresden, 5. Dezember 1901, Mugdan V 
$. 10, R.G., 13. Februar 1902, Entsch. 50, S. 203, vgl. auch schon R.G. 
29. Oktober 1900, Gruchot 45, S. 1042; E. Schulze, Stellungnahme 
des Reichsgerichts zur Entmündigung, S. 4f. 
®) Vgl. zutreffend O.L.G. Karlsruhe, 27. Februar 1902, Zeitschr. f. 
franz. Civilrecht, Bd. 83, S. 715.
	        
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