Full text: Lehrbuch des Bürgerlichen Rechts. Erster Band. (1)

94 ]1.Buch. I. Abschn. Stellung d. Rechtsordn. unter d. Kulturmächten. 
können; und so nahmen sich Personen, wie Gerber, heraus, 
dem deutschen Rechte selbst ein Grabgeläute anzustimmen, 
weil, was geschaffen, ohne Logik sei, nur eben aus den Lebens- 
bedürfnissen herausgestaltet, und darum unfolgerichtig, un- 
brauchbar, ungebildet, ungepflegt. Es seien das lauter geile 
Triebe, die die Wissenschaft auszurotten habe. 
Gegen eine derartige Behandlung mußte natürlich das 
gesunde Recht sich wehren, und so kam es, daß man umgekehrt 
sagte: die Logik ist im Rechte nichts, die Zweckmäßigkeit für 
das Leben ist alles. 
Aber auch das ist ein sonderbarer Mißgriffl. Ist das 
Leben des Rechts nicht ein geistiges Leben und ist ein 
geistiges ohne Logik möglich? Findet die Rechtsbildung 
nach Zufällen und nicht vielmehr nach Grundsätzen statt? 
Wie könnte etwas nach andern Grundsätzen sich gestalten 
als nach den Gesetzen der Logik, nach den Gesetzen der 
Identität, der Verschiedenheit, des Besonderen, des Allge- 
meinen ? 
V. Aber das Logische ist hier etwas Organisches, und daran 
dachte allerdings die Logik alter Schule nicht. Damit ver- 
hält es sich aber wie folgt: wenn das unorganische Leben 
mit einer beschränkten Zahl von Kräften auskommt, so ent- 
wickelt sich das organische Leben in einer Fülle und Über- 
fülle aufeinander wirkender Gewalten. Stets gibt es neue 
Gebilde, in denen die vorhandenen Kräfte wieder neue 
Betätigung finden. Wenn man früher mit 10 Begriffen das 
Recht meisterte und annahm, daß darin das ganze Rechts- 
gebiet beschlossen sei, so war dies, wie wenn man nach den 
Gesetzen der unorganischen Welt die ungeheure Fülle des 
organischen Lebens bemessen und was nicht hineinpaßt, ein- 
fach als unlogisch beiseite schieben wollte. 
Das Organische unterscheidet sich vom Unorganischen 
nicht grundsätzlich, es unterscheidet sich von ihm stufen- 
weise. Das Organische ist etwas außerordentlich Verwickeltes, 
bei dem eine Menge von Elementen aufeinander einwirken und 
zwar in systematischer Weise, so daß hieraus ein kunstvolles 
Zusammenleben entsteht. So ist es auch im Recht. Es war 
ein großes Verdienst der Römer, als sie in der Analyse soweit 
gingen, daß einzelne Elemente des Rechts deutlich hervor-
	        
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