398 73. Ein Königsidyfl vom Tegernsee.
73. Ein Königsidyll vom Tegernsee.
Von Karl Stieler.")
An den blauen Ufern des Tegernsees, wo einst der grübelnde Mönch
vor seinem Pergamente gesessen, hatte König Max l. sich ein Tuskulum ge-
gründet, das ihm bald gar tief ins Herz wuchs. Als er das jetzige Schloß
im Jahre 1817 kaufte, waren alle Verhältnisse des Ortes noch von der primi-
tiuosten Art: das schmale Sträßlein, von Vergißmeinnicht umwuchert, lief so
dicht am See hin, daß die Räder des Wagens vom Wasser bespült wurden;
man sah noch die langen bräunlichen Röcke mit den vielen Knöpfen, wie sie
die alten Votivtafeln zeigen; die Weiber aber trugen die Pelzkappe und den
roten Goller und Gewänder von schwarzem Wollstoff. Im ganzen Dorfe
gab es nur eine einzige Taberne und auch diese war so recht vom alten
Schlage. Denn als Prinz Karl einmal (noch vor den Freiheitskriegen) mit
einem Kavalier nach Tegernsee kam und sein Wagen vor dem Wirtshause
anhielt, da sah die Wirtin, den Arm in die Seite gestemmt, hinein und
sprach: „Herrgott noamal, is dös a sakrisch-sauberer Bua! Machts jetzt nur
gleil, daß's wieder weiterkommts; mit so schöne Herrschaften kann unsereiner
nix ausrichten.“
Das waren noch die alten, echten Bauernzeiten von Tegernsee; aber dem
König ward wohl inmitten ihrer Einfachheit. Wie mußte ihm nach den
Stürmen der Napoleonischen Zeit jene tiefe Ruhe behagen und sein Herz,
das nie an höfischem Prunk hing, mochte wohl auch die Gefühle teilen, die
der alte Plinius einst ausgesprochen, wenn er von seinem Landsitze auf den
blauen Comer See hinaussah: „Hier bin ich nicht gequält von Sorge und
Hoffen, hier dringt kein Wort aus meinem Mund und an mein Ohr, das mich
gereuen müßte. Nie hör' ich in bitterem Ton über die Menschen schmähen."“
Der Leutseligkeit des Königs aber, die ihm so sehr Bedürfnis war, stand ein
kerngesundes, aufgewecktes Volkstum gegenüber, das der Liebenswürdigkeit wert
war und den Frohsinn verstand, womit ihm sein Herrscher begegnete. Wenn
man ihn damals wandeln sah im grünen Rock und Kappenstiefeln, das Stöckchen
in der Hand, wenn man ihn mit jedem Bauer sprechen und scherzen sah —
das war nicht nur das Bild eines menschenfreundlichen Fürsten, es war das
Bild eines Glücklichen.
Das letzte und innerste Geheimnis dieses Glückes aber lag in dem
Familienleben, an dem er hing mit seinem ganzen Herzen und das er gerade
dort auf dem Lande so zwanglos pflegen konnte. Dieser schöne, rein mensch-
liche Zug ist es gewesen, der ihn dem Volke so nahe brachte; darin wurde er
ja am besten verstanden, auch vom gemeinen Manne; das machte ihn so un-
endlich populär.
1) Aus „Fremde und Heimat“ S. 241 ff. Stuttgart 1886. A. Bonz.-