Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

474 96. Vor fünfundzwanzig Jahren. 
Dieses Mal jedoch hatte er seine Kräfte überschätzt. Abgespannt, geistig 
müde kam er im November nach Nizza. Wie stärkend die milde Seeluft auf 
seinen Körper, wie berauschend der Zauber des Hesperischen Gartens auf seine 
Phantasie wirkte, beweisen die Strophen, die er wenige Wochen vor seiner 
letzten Erkrankung an einen Abendzirkel bei der Gräfin Sophie Lodron richiete 
(28. Dezember 1867): 
„O könnte ich euch doch versetzen 
In diese em'ige Blumenflur, 
Euch fühlen lassen das Ergötzen 
In der bezaubernden Natur, 
Wo auch im Winter Rosen blühen 
Und Immergrün die Bäume schmückt, 
Die goldnen Früchte glänzend glühen, 
Wo überall es uns entzücht! 
Vermöchte doch auf Zephyrs Schwingen 
Ein Zauberwort ins Zauberland 
Euch, Teuere, zu mir zu bringen 
An diesen heitren Meeresstrand 7“ 
Bis Anfang Februar 1868 liefen über den Gesundheitszustand des greisen 
Königs aus Nizza nur günstige Nachrichten ein. Am 12. Februar zeigte ein 
Telegramm an, daß sich Se. Majestät infolge rotlaufartiger Anschwellungen 
am Fuße einer Operation unterziehen mußte, daß dieselbe zwar gelungen sei, 
der Zustand des Kranken aber immerhin Bedenken errege. Er hatte nicht 
geduldet, daß zur Operation ein Arzt aus Nizza beigezogen werde, sein Leib- 
arzt mußte alles allein besorgen: „Ich möchte nicht, daß ein Fremder mich. 
etwa einen Schmerzensschrei ausstoßen hörte!“ Auch chloroformieren ließ er 
sich nicht; er hielt die Schmerzen ruhig aus und begann unmittelbar danach 
in gewohnter Weise zu scherzen. „Ich danke Ihnen,“ sagte er zum Arzt, 
„daß Sie mir so wohltätige Schmerzen verursacht haben!“ Nachdem er auch 
eine zweite Operation, die bald darauf notwendig geworden war, geduldig. 
ertragen hatte, fühlte er sich wieder so wohl, daß er schon an Wiederauf- 
nehmen der gewohnten Spaziergänge dachte, doch es war nur ein letztes Auf- 
flackern der Lebenskräfte! Wenige Tage nachdem sein Enkel Ludwig mit einer 
jugendschönen Gattin festlichen Einzug in München gehalten hatte, trafen aus 
Nizza beunruhigende Nachrichten ein. Die Prinzen Luitpold und Adalbert 
eilten ans Krankenlager des Vaters. Am 26. Februar wurde für den König 
in seinem Hause eine Messe gelesen, dann empfing er bei vollem Bewußtsein 
die heiligen Sterbsakramente. Unmittelbar darauf nahm die Schwäche zu, 
auch Delirien stellten sich ein, doch rang er sich immer wieder zu voller Be- 
sinnung durch. Er wußte, daß sein Ende bevorstehe, aber er sah der Auf- 
lösung gefaßt entgegen. „Glauben Sie nicht,“ sagte er zu Oberstabsarzt 
Cabrol, „daß ich den Tod fürchte, ich habe ihm schon mehrmals ins Auge 
geschaut!“ Am Abend des 27. Februar sagte er: „Wenn ich heut' nacht
	        
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