Full text: Lesebuch zur Geschichte Bayerns.

620 135. Die feierliche Verkündigung des deutschen Kaiserreichs. 
gesinnten Königs Ludwig von Bayern aus freier Entschließung die deutsche 
Kaiserwürde dem greisen Heldenkönig Wilhelm von Preußen angeboten. 
Auf Befehl des Königs Wilhelm sollte die feierliche Verkündigung des 
deutschen Kaiserreiches am 18. Januar, dem Tage der preußischen Königs- 
krönung, vorgenommen werden. Kronprinz Friedrich Wilhelm war mit der 
obersten Leitung der Anordnungen für diese Feier betraut worden. Er erließ 
am 16. einen Befehl, der die Teilnahme der Truppenteile an der großen 
Staatshandlung regelte. Die Verhältnisse der Zeit brachten es mit sich, daß 
bei dieser für ewig denkwürdigen Feier das Heer das deutsche Volk vertrat. 
Die obersten Führer und mit ihnen Abgesandte der Offiziere wurden von 
sämtlichen Abteilungen zur Feier entboten, ebenso alle mit dem Eisernen Kreuze 
I. Klasse geschmückten Offiziere und Mannschaften. Jedes Fuß= und Reiter- 
regiment der einzelnen Korps sollte eine Fahne oder Standarte in Begleitung 
eines Offiziers, eines Fahnenträgers und zweier Feldwebel, Wachtmeister oder 
Unteroffiziere nach Versailles entsenden. Auch ein großer Teil der bayerischen 
Fahnen (10 des 1. und 8 des 2. bayerischen Korps) war nach Versailles ab- 
geschick worden und außerdem waren die sämtlichen Prinzen des bayerischen 
Königshauses, die im Felde vor Paris standen, viele Offiziere und mehrere 
Abteilungen bayerischer Soldaten anwesend. 
In der berühmten Spiegelgalerie des prunkvollen, zum Tempel und 
zum Museum des französischen Waffenruhmes umgeschaffenen Königsschlosses, 
wo einst der schlimmste Feind deutscher Macht und deutschen Wesens — 
Ludwig XIV. — seine Befehle zur Erniedrigung Deutschlands ausgegeben 
hatte, sollte zu Versailles die vollzogene geschichtliche Tatsache der erfolgten 
Gründung des neuen Kaiserreiches deutscher Nation nun der Welt verkündet 
werden. Diese prächtige Halle, der Schauplatz so vieler feierlich-pomphafter 
Haupt= und Staatsaktionen französischer Herrscher seit zwei Jahrhunderten, 
sollte nun auch der größten Staatshandlung der neuen deutschen Geschichte 
zur Stätte dienen. Während Se. Majestät, umgeben von den Prinzen, den 
Fürsten, den Generalen und den Ministern, noch einige Augenblicke in den 
Vorzimmern der Festräume verweilte, hatte sich im Spiegelsaale einstweilen die 
Versammlung geordnet. 
Um ½1 Uhr trat Se. Majestät in den Festsaal ein, während ein Sänger- 
chor, zusammengesetzt aus Mannschaften, unter Musikbegleitung das „Jauchze 
dem Herrn, alle Welt!“ anstimmte. Der König nahm in der Mitte vor dem 
Altare Aufstellung, im Halbkreise um ihn die Prinzen und die Fürsten: der 
Kronprinz Friedrich Wilhelm, die Prinzen Karl und Adalbert von Preußen, 
die Prinzen Otto, Luitpold und Leopold von Bayern, Kronprinz Albert und 
Prinz Georg von Sachsen, die Prinzen von Württemberg, der Großherzog 
von Baden, der Erbgroßherzog von Mecklenburg-Schwerin und viele andere 
deutsche Fürsten. Hinter diesen und ihnen zur Seite standen die Generale und 
die Minister; an der Spitze des linken Flügels der Bundeskanzler Graf Bismarck.
	        
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