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denn auch in der Abstimmung mit großer Mehrheit ange-
nommen.:#).
d) Der Reichstag konnte, wie wir oben gesehen haben,
wenn dies für den Zweck der Wahlprüfung nötig war, durch
den Reichskanzler die beteiligte Staatsregierung um Beweis-
erhebung ersuchen. Dagegen war er aber nicht berechtigt, eine
solche Erhebung zu fordern, wenn über die Legitimation des
betreffenden Abgeordneten bereits gültig entschieden war.
Denn dies hätte eine Forderung nach Kontrollierung der Be-
hörden, nicht zum Zwecke der Entscheidung bedeutet. Ein
derartiges Recht siand dem Reichstage nicht zu. Wollte ferner
etwa der Reichstag „die Entscheidung nur zu dem Ende heraus-
schieben, um Erhebungen, auf die nichts ankommt, noch fordern
zu können, so hieße das nur einen Mißbrauch durch einen anderen
größeren ersetzen?).“ — Dieser letztere Fall hat sich tatsächlich er-
eignet, und zwar bei einer Wahlprüfungsverhandlung im Jahre
188 5. Die Kommission schlug vor, die Wahl zwar für gültig zu
erklären, aber den Reichskanzler zu ersuchen, über bestimmte
Vorgänge Erhebungen zu veranlassens). Gegen diesen Vor-
schlag wandte sich vor allen Minister v. Bötticher mit sachlich
richtigen Ausführungen: Es lasse sich die Frage aufwerfen,
ob der Reichstag die Befugnis habe, von der Regierung zu
verlangen, daß sie Erhebungen veranlasse, die für die Fest-
stellung der Gültigkeit der Wahl überhaupt von keiner Bedeu-
tung mehr seien. Die Regierung sei der Meinung, daß der
Reichskanzler ein solches Mandat, wie es ihm durch den Kom-
missionsvorschlag ausgesonnen werde, nicht übernehmen
könne, jedenfalls nicht zu übernehmen verpflichtet sei. Die
Wahlprüfungskommission schlüge in Zukunft in solchen Fällen
besser vor, daß die Regierung darauf aufmerksam gemacht
werde, daß Unregelmäßigkeiten vorgekommen seien. — Der
Reichstag half sich einfach dadurch, daß er die Entscheidung
1) Sten. Ber. 1894/95 Bd. 140 S. 2453 B.
2) v. Seydel Komm. S. 298.
3) Sten. Ber. 1884/85. Bd. II. S. 1102ff., Bd. III, S. 1523ff.