Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 10. Das Subjekt der Reichsgewalt. 09 
zu handeln befugt wäre, als sonst bei der Leitung der Regierungsge- 
schäfte. Die Instruktion der Bundesratsmitglieder gehört eben zu den 
Regierungsgeschäften des Einzelstaats, und alles, was staatsrechtlich 
oder faktisch einen Einfluß hat auf das Zustandekommen des Staats- 
willens, hat diesen Einfluß auch hinsichtlich der Ausübung der Reichs- 
mitgliedschaft. Der Landesherr muß sich daher der verfassungsmäßigen 
Behörden bedienen, welchen die Zentralleitung der Regierungsgeschäfte 
des Landes obliegt, um die Mitgliedschaft am Reiche auszuüben, d.h. 
die Instruktion der Bundesmitglieder muß entweder durch Vermittlung 
der Zentralstaatsbehörde, des Staatsministeriums, erfolgen oder, falls 
der Landesherr direkt und persönlich seine Vertreter am Bundesrat 
instruiert, so bedarf dies, wie jeder andere landesherrliche Regierungs- 
akt, zu seiner staatsrechtlichen Gültigkeit der Kontrasignatur eines 
verantwortlichen Ministers!). Die Lebre von der völligen Trennung 
der bundesstaatlichen Sphäre von der einzelstaatlichen zeigt sich auch 
in diesem Punkte als verfehlt; die Einheitlichkeit des Staats und die 
Unteilbarkeit seines Willens bewährt sich für den Einzelstaat darin, 
daß die Führung der Landesregierung und die Ausübung des Anteils 
an der Reichsgewalt nicht auseinandergerissen werden können, sondern 
sich gegenseitig bestimmen und zusammengenommen die volle Lebens- 
tätigkeit des Staats darstellen. 
Eine wichtige staatsrechtliche Konsequenz dieses Satzes besteht 
darin, daß die Regierung des Einzelstaates nach Maßgabe des 
Staatsrechts dieses Staates politisch und rechtlich verantwort- 
lich bleibt für die Art und Weise, wie sie die Mitgliedschaft am Reich 
ausübt 2). 
1) Vgl. Grotefend, Staatsrecht $ 754; Zorn L, S. 133; G. Meyer (6. Aufl.) 
8 123 Note 9; Seydel, Bayerisches Staatsrecht I, S.265 (2. Aufl); v. Sarwey, 
Württembergisches Staatsrecht II, S. 79; Schulze, Preußisches Staatsrecht II, S. 798. 
Daß diese Kontrasignatur durch die Reichsverfassung nicht vorgeschrieben 
ist, was Meyer, Grundzüge S. 85 hervorhebt, ist gänzlich unerheblich. Ueber die 
Frage, ob die Instruktion der Bundesratsbevollmächtigten von der Zustimmung der 
Landtage landesgesetzlich abhängig gemacht werden darf, vgl. unten $ 28. 
2) Am bestimmtesten und ganz unzweideutig ist dies ausgesprochen worden von 
Fürst Bismarck im verfassungsberatenden Reichstage, Stenogr. Berichte 393, 
397. Vgl. ferner Lasker und nochmals Fürst Bismarck im Reichstag von 1867, 
Stenogr. Berichte 135, 137. Vgl. Hiersemenzelll, S. 293fg. In der Literatur 
wird diese Verantwortlichkeit anerkannt von Hauser S. 35; v. Bezold im Jahrb. 
II (1873), S. 334; Auerbach S. 102 Note; Grotefend 8 754, S. 788; v. Mohl 
S. 277 fg.; Schulze, Preußisches Staatsrecht II, S. 798; v. Sarwey, Württem- 
bergisches Staatsrecht II, S. 82 fg. (daselbst S. 84 die Verhandlungen der württem- 
bergischen Landstände über diese Frage). Anschütz S. 541. Sehr gut sind die 
Ausführungen von Pistorius, Die Staatsgerichtshöfe und die Ministerverantw. 
(Tübingen 1891), S. 195 fg. Die entgegengesetzte Ansicht vertreten Hänel S. 221; 
ferner v. Rönne, Staatsrecht der preußischen Monarchie I, 2, 8 186 (S. 609) und 
Staatsrecht des Deutschen Reichs I, S. 203; Thudichum S. 117; Riedel S. 26; 
Meyer, Staatsrecht $& 186.
	        
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