112 & 11. Die Unterordnung der Einzelstaaten unter das Reich.
geht unter den Bundesregierungen selbst und hat den Charakter einer
Belehrung, welche der Bundesrat den einzelnen Regierungen über den
Inhalt ihrer allgemeinen verfassungsmäßigen Bundespflicht, die Reichs-
geselze zu beobachten, für den besonderen Fall erteilt. Sie speziali-
siert die Gehorsamspflicht der Bundesregierungen mit Rücksicht auf
den einzelnen Gesetzesbefehl und begründet für dieselben die Pflicht
zur Befolgung, soweit sie tatsächlich und rechtlich dazu imstande sind.
Falls es sich um gerichtliche oder verwaltungsgerichtliche Entschei-
dungen handelt, kann die Landesregierung diese Pflicht nur insoweit
erfüllen, als dies mit der Unabhängigkeit der Gerichte verträglich ist
und der Bundesrat wird, wenn die Gerichte seiner Ansicht nicht bei-
stimmen, ihr nur dadurch unbedingte Anerkennung verschaffen kön-
nen, daß er den Weg der Gesetzgebung (authentische Interpretation)
beschreitet. Auch was von den Verwaltungsbehörden der einzelnen
Staaten definitiv und endgültig innerhalb ihrer Kompetenz entschieden
worden ist, kann nicht durch Beschluß des Bundesrats kassiert werden.
Die Verfügungen und Entscheidungen der Landesbehörden werden
dadurch nicht nichtig, daß sie der Bundesrat für unrichtig erklärt;
und subjektive Rechte, welche einmal erworben sind, bleiben bestehen.
Wenn die Regierung des Staates überhaupt nicht handeln kann, kann
sie auch nicht ihre Gehorsamspflicht verletzen. Wenn aber eine Lan-
desregierung unter Mißachtung einer von ihr als begründet anerkann-
ten Rüge des Reichskanzlers oder eines Bundesratsbeschlusses in der
Verletzung oder Nichtbefolgung eines Bundesgesetzes beharren sollte,
so kann!) das Reich die Exekution gegen sie vollstrecken. Dazu ist
ein besonderer Exekutionsbeschluß des Bundesrats erforderlich, zu
dessen Motivierung es nicht genügt, daß Reichsgesetze von den Be-
hörden eines Bundesmitgliedes tatsächlich verletzt oder falsch ausgelegt
worden sind, sondern. zu welchem erforderlich ist, daß die Regierung
des betreffenden Staates ihre Pflicht, für die Befolgung der Reichs-
gesetze zu sorgen, nicht erfüllt hat. RV. Art. 19°). Eine Verletzung der
Pflicht kann immer erst dann angenommen werden, wenn das Bundes-
mitglied zur Erfüllung derselben vergeblich aufgefordert worden ist;
und nur wenn die Pflichtverletzung eine schwere, die Herrschaft des
Reichs über den Einzelstaat bedrohende ist, wird eine so eingreifende
Reaktion des Reichs, wie es die Exekution ist, geboten erscheinen.
1) Nicht „muß“. Siehe Schilling im Arch. £. öff. R. Bd. 20 S. 65 ff.
2) Die Annahme der Deliktsfähigkeit der Staaten (vgl. Jellinek, System
S. 258 ff.) und die Charakterisierung des Ungehorsams einer Staatsregierung als De-
likt sind ohne praktische Bedeutung. Denn die Grundsätze des Strafrechts oder
Strafprozesses kommen in keiner Beziehung zur Anwendung. Auch ist die zwangs-
weise Anhaltung des Staats zur Erfüllung seiner Bundespflichten nicht unter den Ge-
sichtspunkt einer Strafe zu bringen; die Reichsexekution kann unter Umständen so-
gar als eine. Wohltat erscheinen. Es handelt sich überall nur um Herstellung des
reichsverfassungsmäßigen Zustandes oderumeineErzwingung des Gehor-
sams.