116 8 12. Die Rechte der Einzelstaaten.
der Wille des einzelnen Staates unerheblich. Die Gesamtheit der ein-
zelnen Staaten erscheint tamquam unum corpus und der Teil wird
durch die Veränderung des Ganzen ohne weiteres mitbetroffen.
Die einzelnen in der Mitgliedschaft enthaltenen Rechte und Pflich-
ten der Staaten sind daher dem Reiche gegenüber nicht jura quaesita,
die nicht ohne Zustimmung der einzelnen Staaten eingeschränkt oder
beseitigt werden können. Ebensowenig sind die in der Mitgliedschaft
begründeten Pflichten ihrem Umfange nach definitiv begrenzt, so daß
sie nicht ohne Zustimmung der einzelnen Staaten erschwert werden
können. Wohl aber können sich aus der Mitgliedschaft einzelne Rechte
und Pflichten ablösen als perfekt gewordene Wirkungen, als selbständig
gewordene Rechte und Pflichten, die man der Mitgliedschaft gegenüber
mit separierten Früchten vergleichen kann!). Dahin gehört z. B. der
Anspruch der einzelnen Staaten auf die Vergütung der Erhebungs-
kosten für Zölle und Verbrauchsabgaben gemäß Art. 38 der Reichsverf.
oder auf die Ueberweisung der Zoll- und Steuererträge oder auf den
Anteil an der Erbschaftssteuer rücksichtlich der bereits abgelau-
fenen Zeit. Das Reich kann allerdings jederzeit die angeführten Ge-
setzesbestimmungen ändern; würde das Reich dies aber mit rück-
wirkender Krafttun, so würde es dadurch zweifellosin jura quaesita
einzelner Staaten eingreifen. Rücksichtlich der Pflichten der Staaten
liefern die Matrikularbeiträge ein analoges Beispiel; das Reich kann
jederzeit für dieselben einen neuen Verteilungsmaßstab einführen;
für die Zeit aber bis zu dieser Aenderung hat der Einzelstaat ein er-
worbenes Recht, daß die bis dahin fällig gewordenen Beiträge nach
den bestehenden Grundsätzen berechnet werden.
2. Die Mitgliedschaftsrechte sind grundsätzlich für alle Staaten
dieselben, nicht etwa in dem Sinne, daß sie für alle Staaten absolut
gleich sind, sondern daß auf alle Staaten dieselben Rechtsregeln An-
wendung finden. Bei der Begründung des Norddeutschen Bundes und
dem Hinzutritt der süddeutschen Staaten standen sich die bis dahin
souveränen deutschen Staaten als völlig gleichberechtigte Persönlich-
keiten gegenüber und auf der Anerkennung dieser Gleich-
berechtigung, der Koexistenz einander ebenbürtiger staatlicher
Personen, beruht das Bundesverhältnis, der bundes staatliche
Charakter des Reiches. Es ist nicht ausgeschlossen, daß nicht einzel-
nen Staaten Sonderrechte eingeräumt werden, durch welche die Lasten
und Pflichten der übrigen nicht erschwert werden, wie z. B. die Kom-
petenzbeschränkungen des Reiches hinsichtlich der süddeutschen Staa-
ten; es ist ferner zulässig, einzelnen Staaten mit Zustimmung aller üb-
rigen Prärogativen beizulegen, wie z. B. die Präsidialrechte Preußens;
es ist endlich vollkommen zulässig, einem Staate größere Lasten auf-
zuerlegen oder ihm größere Opfer an Hoheitsrechten zuzumuten, wie
1) Labanda. a. O. S. 1502.