8 13. Die Existenz der Einzelstaaten. 131
keinen Rechtssatz, sondern ist bloß referierend; sie bekundet nur die
Tatsache, daß das Reich durch den freien Willensentschluß der deut-
schen Souveräne errichtet worden ist!). Am wenigsten aber kann man
aus dieser Eingangsformel den Rechtssatz ableiten, daß die darin ge-
nannten Staaten fortbestehen müssen, da ja der Norddeutsche Bund
gerade durch die Gründung des Deutschen Reiches seine Existenz als
besonderes staatliches Gemeinwesen verloren hat.
Art. 1 betrifft, was durch seine Ueberschrift noch besonders
hervorgehoben ist, das Bundesgebiet und normiert, wie weit es sich
erstreckt. Anstatt die Grenzen desselben zu beschreiben, zählt Art. 1
die Teile auf, aus denen es besteht. Er nennt demgemäß diejenigen
Staaten, deren Staatsgebiete zusammen das Bundesge-
biet bilden. Davon aber steht in Art. 1 nichts, daß diese Teile als
solche fortbestehen müssen. Die innere Einteilung des Bundes-
gebietes in 25 Staatsgebiete ist nicht Gegenstand einer Anordnung des
Art. 1, sondern die äußere Abgrenzung des Gebietes, welches den
Territorialbestand des Reiches bildet?). Falls einmal die beiden Reuß
zu einem Staate vereinigt oder Sachsen-Koburg-Gotha in zwei Staaten
getrennt werden sollten, so würde zwar die Aufzählung in Art. 1 den
tatsächlichen Verhältnissen nicht mehr entsprechend sein, aber die
staatsrechtliche Vorschrift über die Ausdehnung und den Bestand des
Bundesgebietes wäre nicht verletzt.
Der Ausdruck: »Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten
Preußen u. s. w.« ist ein offenbar inkorrekter‘); das Wort Staat kann
nur in dem Sinne von »Staatsgebiet« verstanden werden‘). Ganz deut-
lich tritt dies hervor in dem Art. 1 der Verfassung des Norddeutschen
Bundes: »Das Bundesgebiet besteht aus den Staaten Preußen u. s.
w....undausdennördlichvomMainbelegenenTeilen
des Großherzogtums Hessen.« Diese Teile bildeten keinen Staat, wohl
aber ein Gebiet. Es wird dies ferner bestätigt durch $ 2 des Gesetzes
vom 25. Juni 1873: »Dem im Art. 1 der Verfassung bezeichneten Bun-
1) v. Martitz, Betrachtungen S. 9 und G. Meyer, Grundzüge S. 47 haben
aus der vertragsmäßigen Vereinigung der deutschen Fürsten zur Gründung des Bun-
des gefolgert, daß die Verschmelzung zweier: Bundesstaaten zu einem nur unter Ge-
nehmigung sämtlicher Bundesstaaten rechtlich zulässig sei; beide haben
aber diese unhaltbare Behauptung später aufgegeben. Vgl. G. Meyer, Staatsrecht
8 164, Note 9. Dagegen vertritt Seydel, Kommentar S. 28, 37 diese Ansicht. Vgl.
dagegen: Thudichum S. 62, Note 3; v. RönneLl, S. 61; Hänell, S. 92 ff.;
Rehm, Allgem. Staatslehre S. 131 ff., 136, 179, Note 4 und oben S. 90. Ueber die
sonderbare Behauptung von Zorn], S.95, daß der Wegfall eines Gliedstaates „fak-
tische Lösung des bisher bestandenen Bundes wäre“, vgl. oben S. 44, 76 und Jelli-
nek, Staatenverbindungen S. 274.
2) Thudichum S. 61; Meyer, Einleitung S. 342.
3) Er stammt her aus den Grundzügen vom 10. Juni 1866. Siehe oben S. 13.
4) Der Art. 1 lautet nicht: „Der Bund besteht aus den Staaten“; er betrifft
nicht die Mitglieder des Bundes sondern das Gebiet desselben.