Object: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

138 S 14. Begriff und staatsrechtliche Natur der Reichsangehörigkeit. 
zipation des einzelnen Staatsbürgers von seiner Staatsgewalt, und 
eine direkte Unterwerfung unter die obrigkeitliche Hoheit des Reiches, 
sondern eine Aufstellung von Rechtsnormen über die Handhabung der 
Strafjustiz, des Preßwesens, des Gewerbewesens, die der Einzelstaat als 
solcher, zugleich aber auch alle seine Behörden und Angehörigen zu 
befolgen und zu beachten haben. 
Aus der verbindlichen Kraft der Reichsgesetze, ohne daß dieselben 
seitens der Einzelstaaten publiziert werden, folgt daher nichts für die 
Frage, ob die Individuen unmittelbar oder durch Vermittlung der Ein- 
zelstaaten der Reichsgewalt unterworfen sind. Ebensowenig kann dies 
daraus gefolgert werden, daß das Reich für einige Zweige seiner Tätig- 
keit einen eigenen Behördenapparat mit Exekutivgewalt hat. Denn 
wie wir oben näher ausgeführt haben, widerspricht es dem Begriff 
des Bundesstaates nicht, wenn die Zentralgewalt einzelne Befug- 
nisse der Selbstverwaltung den Einzelstaaten entzieht und sich selbst 
beilegt. 
Geht man von der Anschauung aus, daß das Reich eine staat- 
liche Einigung der deutschen Staaten ist, so ergibt sich für das Ver- 
hältnis von Staatsbürgerrecht und Reichsbürgerrecht folgendes: 
1. Das Staatsbürgerrecht ist das primäre Verhältnis; es zieht 
ohne weiteres das Reichsbürgerrecht nach sich. Wer Bürger eines 
zum Reich gehörenden Staates ist, der bedarf keines besonderen Er- 
werbsaktes, um das Reichsbürgerrecht zu erlangen, er nimmt als 
Mitglied seines Staates am Reiche teil. Er kann aber nicht 
Reichsangehöriger sein, ohne einem deutschen Einzelstaat anzuge- 
hören; denn das unmittelbare Substrat des Reiches sind die deutschen 
Staaten, nicht das deutsche Volk. (Siehe oben S. 96 fg.) Das Staats- 
bürgerrecht ist daher die wesentliche Voraussetzung zur Erlangung 
des Reichsindigenats !. Es kann niemand Reichsbürger werden, der 
nicht in irgend einem deutschen Staat die Staatsangehörigkeit erworben 
hat; es gibt keine Naturalisation durch das Reich unmittelbar?). Eben- 
1) Dieses Prinzip ist unanwendbar in Elsaß-Lothringen und in den Schutzge- 
bieten, weil weder das Reichsland noch die Schutzgebiete Bundesglieder sind. Ueber 
Elsaß-Lothringen siehe unten 8 67, Ziff. VII. Für die Schutzgebiete hat das Reichs- 
ges. v. 15. März 1888, S 6, Abs. 1 (Reichsgesetzbl. S. 73) bestimmt, daß Ausländern, 
welche in den Schutzgebieten sich niederlassen, sowie Eingeborenen die Reichs- 
angehörigkeit vom Reichskanzler oder von einem vom Reichskanzler ermächtigten 
Beamten erteilt werden kann. Durch eine solche Naturalisation entsteht eine un- 
mittelbare Reichsangehörigkeit, die aber, wie Seydel, Bayr. Staatsr. I, S. 294, 
Anm. 4 richtig hervorhebt, auch keine bloße Reichsangehörigkeit ist, da sie sich mit 
der Schutzgebietsangehörigkeit verbindet. 
2) Bekanntlich besteht in der Nordamerikanischen Union das umgekehrte Ver- 
hältnis. Das Bundesbürgerrecht ist das primäre Verhältnis; wer Bundesbürger ist, 
erwirbt durch den Wohnsitz das Staatsbürgerrecht im Einzelstaat. Der Fremde kann 
demnach nur von der Union naturalisiert werden, nicht vom Einzelstaat. Dagegen 
ist in der Schweiz derselbe Grundsatz wie im Deutschen Reich anerkannt. Schwei- 
zerische Bundesverfassung Art. 43, Abs. 1: „Jeder Kantonsbürger ist Schweizerbürger.“
	        
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