Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

148 $ 15. Die Pflichten der Reichsangehörigen. 
von Deutschen im Auslande zu solcher Zeit kann daher nur mit der 
Untertanentreue gegen das Reich, nicht gegen einen einzelnen Staat, 
kollidieren. Deshalb ist die Aufforderung zur Rückkehr vom Kaiser, 
nicht von den einzelnen Staaten zu erlassen. Die Aufforderung darf 
ferner nicht für die Angehörigen eines oder einiger Staaten geschehen, 
sondern sie ist gleichzeitig für die Angehörigen aller Bundesstaaten, 
oder wie das Gesetz sehr ungeschickt sagt, »für das ganze Bundes- 
gebiet«!) anzuordnen. 
Aber das Reichsbürgerrecht kann nicht für sich allein und nicht 
unmittelbar entzogen werden: es kann nur verloren gehen mit und 
durch den Verlust der Staatsangehörigkeit in dem betreffenden Einzel- 
staat. Deshalb droht das Reichsgesetz für die dem Reich gegenüber 
gezeigte Entfremdung vom Vaterland den Verlust der Staatsange- 
hörigkeit an und ermächtigt die Zentralbehörde des Heimatsstaa- 
tes, diesen Verlust durch einen Beschluß zu erklären. Die Entzie- 
hung der Reichsangehörigkeit wird dadurch bewirkt, daß das Funda- 
ment, auf welchem sie ruht, ihr genommen wird. Die innere Einheit 
von Staats- und Reichsbürgerrecht tritt hier mit besonderer Deutlichkeit 
hervor und ebenso wird es anschaulich, wie die Untertanenpflicht gegen 
den Staat sich an dem Punkte von selbst in die Untertanenpflicht 
gegen das Reich verwandelt, wo das Reich die Erfüllung der staat- 
lichen Zwecke dem Einzelstaate abgenommen hat. 
Der sogenannte diplomatische Landesverrat, welcher 
in der Mitteilung von Staatsgeheimnissen oder Urkunden, in der Ver- 
nichtung von Aktenstücken oder Beweismitteln behufs Gefährdung 
staatlicher Rechte oder in der Führung eines Staatsgeschäfts mit einer 
anderen Regierung zum Nachteil des Staates, welcher den Auftrag dazu 
erteilt hat, besteht, kann seinem objektiven Tatbestande nach ebenso- 
wohl gegen das Reich wie gegen jeden einzelnen Staat verübt werden, 
und es hätte daher in diesen Fällen sehr wohl ein Unterschied ge- 
macht werden können, ob die feindliche (verräterische) Handlung gegen 
das Reich resp. den eigenen Bundesstaat oder ob sie gegen einen 
anderen Bundesstaat gerichtet ist. Diese Unterscheidung ist aber 
natürlich nur dann möglich, wenn man in subjektiver Beziehung 
überhaupt die Angehörigkeit zum Deutschen Reich als Requisit des 
Verbrechens erfordert. Dies ist in dem Reichsstrafgesetzbuch weder 
beim Hochverrat noch bei den erwähnten Fällen des Landesverrats 
geschehen. Der $ 92 sagt nicht: »Ein Deutscher, welcher vorsätzlich 
u. Ss. w.«, sondern: »Wer vorsätzlich u. s. w.«?) und hat somit den Zu- 
1) Da die Aufforderung an die im Auslande sich aufhaltenden Deutschen ge- 
richtet ist, so hat sie keine Beziehung auf das Bundesgebiet. Nicht in territo- 
rialer, sondern in personaler Hinsicht soll sie eine generelle, d. h. an die Angehörigen 
aller Staaten gerichtete sein. 
2) Trotz dieser allgemeinen Fassung nimmt Berner, Lehrbuch $ 239 an, daß 
nur ein Inländer einen diplomatischen Landesverrat begehen könne. Auch John
	        
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