Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

152 8 16. Die Rechte der Reichsangehörigen. 
Als Inhalt des Staatsbürgerrechts ist vielmehr nur anzuerkennen: 
der Anspruch des einzelnen Staatsbürgers auf die Erfüllung der Auf- 
gaben, welche der Staat seinen Angehörigen gegenüber übernommen 
hat und zwar sowohl nach außen als im Innern. Dementsprechend 
gibt es auch ein Reichsbürgerrecht, welches allen Angehörigen des 
Reiches ohne Rücksicht auf den Einzelstaat zusteht und gegen das 
Reich unmittelbar gerichtet ist, mit doppeltem Inhalt: Schutz im Aus- 
lande und Schutz im Inlande. 
1. DerAnspruch aufSchutzim Auslande. Gerade in 
dieser Beziehung ist das Reich am vollständigsten an die Stelle der 
Einzelstaaten getreten und hat ihnen ihre Pflichten abgenommen. Die 
Reichsverfassung selbst bestimmt Art. 3, Abs. 6: 
»)demAuslande gegenüberhabenalleDeutschen 
gleichmäßig Anspruch auf den Schutz des Reichs«. 
Nicht bloß die Einzelstaaten haben einen Anspruch an das Reich, 
daß dieses ihre Angehörigen dem Auslande gegenüber schützt!), sondern 
»alle Deutschen« haben diesen Anspruch unmittelbar. Durch den 
Art. 4, Nr. 7 der Reichsverfassung ist die Kompetenz des Reiches dieser 
Aufgabe gemäß erstreckt auf »die Organisation eines gemeinsamen 
Schutzes des deutschen Handels im Auslande, der deutschen Schiff- 
fahrt und ihrer Flagge zur See und Anordnung gemeinsamer kon- 
sularischer Vertretung, welche vom Reiche ausgestattet wird«. Zur 
Gewährung des Schutzes hat das Reich Gesandtschaften eingerichtet 
und Konsulate organisiert, und zur wirksamen Durchführung verfügt 
es über das Heer und die Kriegsmarine’). 
vereinbar erscheinen; die Anerkennung der Freiheitsrechte ist nur die Negation 
der früher bestandenen Beschränkungen. Vgl. jetzt auch Jellinek, S. 71ff., 94ff. 
und die gute Abhandlung von Fr. Giese, Die Grundrechte, Tübingen 1905 (Abh. 
von Zorn u. Stier-Somlo 1. 2). Sehr treffend sagt Anschütz, Enzykl. S. 535: „es 
gibt keine Grundrechte, sondern nur ein Grundrecht, das Recht auf Unterlas- 
sung gesetzwidrigen Zwanges. Und dieses Recht schützt nicht nur die 
in den grundrechtlichen Bestimmungen der Verf. besonders namhaft gemachten, son- 
dern alle Gebiete und Betätigungsmöglichkeiten der persönlichen Freiheit“. Eine 
sonderbare Extravaganz ist der Versuch von Alb.Morelli, Che cosa sono le libertä 
civili? Modena 1899, alle Aeußerungen der persönlichen Handlungsfreiheit, welche 
das Recht gestattet, als Privatrechte zu qualifizieren. 
1) Siehe oben S. 115. 
2) Es ist richtig, daß das Recht auf Schutz das Korrelat der staatlichen Pflicht 
des Reiches zum Schutz seiner Angehörigen ist und daß der Einzelne nicht die Ent- 
sendung eines Kriegsschiffes oder die Erklärung des Krieges verlangen kann, so wenig 
er im Inlande, falls er seine Sicherheit bedroht glaubt, die Aufbietung von Militär- 
macht beanspruchen kann. Es ist aber nicht zuzugeben, wenn Seydel.a.a. 0. S. 301 
aus diesem Grunde dem Anspruch auf Schutz den Charakter eines Rechts abspricht. 
Ebenso Jellinek, System S. 119fg. Denn die Pflicht zum Schutz ist als eine 
Rechtspflicht des Reiches verfassungsmäßig anerkannt; durch die Gewährung der- 
selben wird dem Einzelnen keine Gnade, keine Gefälligkeit erwiesen, sondern ihm 
sein Recht getan, und es steht dem nicht entgegen, daß allerdings dieArt der Er- 
füllung dieser staatlichen Rechtspflicht überwiegend durch politische Verhältnisse
	        
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