Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 18. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit. 163 
Nach den Vorschriften dieses Gesetzes wird die Staatsangehörigkeit 
begründet teils ipso jure durch familienrechtliche Verhältnisse, teils 
durch einen staatsrechtlichen Willensakt, durch Verleihung !). 
I. Auf Grund familienrechtlicher Verhältnisse wird die Staatsange- 
hörigkeit erworben ?): 
1. Durch die Geburt; und zwar erwerben eheliche Kinder eines 
Deutschen die Staatsangehörigkeit des Vaters, uneheliche Kinder einer 
Deutschen die Staatsangehörigkeit der Mutter (8 3). 
Es ist gleichgültig, ob die Geburt im Inlande oder Auslande erfolgt ; 
ebenso ist es unerheblich, ob die Geburt innerhalb Deutschlands im 
Gebiet des Heimatsstaates des Vaters (resp. der Mutter) oder in dem 
Gebiete eines anderen Bundesstaates stattgefunden hat; und zwar macht 
auch die Begründung eines wirklichen Wohnsitzes der Eltern außer- 
halb des Heimatsstaates keinen Unterschied hinsichtlich der Staatsan- 
gehörigkeit der Kinder’. Wenn daher preußische Eheleute ihren 
Wohnsitz in Sachsen haben, so sind die daselbst geborenen und er- 
zogenen Kinder nicht Sachsen, sondern Preußen. Da nun die Staats- 
angehörigkeit durch den Aufenthalt in dem Gebiet anderer Bundes- 
staaten nicht verloren geht, gleichviel wie lange derselbe dauert, und 
ebensowenig die Staatsangehörigkeit durch Aufenthalt oder Begründung 
eines Wohnsitzes erworben wird ($ 12 des Gesetzes), so können Fami- 
lien, welche aus einem Bundesstaat in einen anderen übersiedeln, ohne 
die Staatsangehörigkeit zu ändern, für eine unabsehbare Reihe von 
Generationen die Staatsangehörigkeit in demjenigen Staate behalten, 
dem sie am 1. Januar 1871 angehört haben. In Verbindung mit der 
Freizügigkeit, welche innerhalb des ganzen Reichsgebietes besteht, wird 
dieser Grundsatz es daher im Lauf der Zeit immer schwieriger machen, 
die Staatsangehörigkeit festzustellen‘), und an großen Verkehrs- 
1) Bis zum Tage des Inkrafttretens des Gesetzes richtet sich die Staatsangehö- 
rigkeit nach den partikulären Rechten der Bundesstaaten. Das Reichsgesetz verlangte 
nicht, daß die Staatsangehörigkeit der vorhandenen Bevölkerung durch einen formel- 
len Akt festgestellt werde; jeder behielt diejenige Staatsangehörigkeit, die er hatte, 
und vererbte sie nach den Regeln des Gesetzes. Die früher in Kraft gewesenen deut- 
schen Staatsangehörigkeitsgesetze — sowie die in den europäischen Staaten darüber 
geltenden Gesetze — sind im Auftrage der Polizeibehörde von Hamburg herausgege- 
ben. Berlin 1898, 616 S. 8°. 
2) L.Sartorius, Der Einfluß des Familienstandes auf die Staatsangehörigkeit 
(Sonderabdruck aus dem Verwaltungsarchiv 1899). Vgl. auch desselben Kommentar 
z. Personenstandesgesetz. München 1902. Nadelhoffer in Hirths Annalen 1906, 
S. 291 ff., 342 ff. Ueber die im internation. Recht geltenden Grundsätze vgl. Keidel 
im Arch. f. öff. R. Bd. 16, S. 88 ff. 
3) Der $ 3 des Gesetzes sagt ganz allgemein: „Durch die Geburt, auch 
wenn diese im Auslande erfolgt, erwerben etc.“. 
4) Namentlich muß bei langer Abwesenheit vom Heimatsstaat das Bewußt- 
sein der Staatsangehörigkeit schwinden. Wenn ein Bayer nach Sachsen übersiedelt 
und er und seine Nachkommen hundert Jahre lang in Sachsen leben, so werden sie 
schwerlich wissen, daß sie nach dem deutschen Reichsgesetz noch immer Bayern sind. 
Der von Seydell, S. 274, Anm. 3 dagegen angeführte Umstand, daß in Bayern die
	        
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