Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 18. Der Erwerb der Staatsangehörigkeit. 169 
demnach verschieden sein können, so gewiß ist es doch andererseits, 
daß die Begründung eines neuen Wohnsitzes ohne Aufenthalt da- 
selbst nicht erfolgen kann, und daß namentlich derjenige, welcher an 
einem Orte sich aufzuhalten gar nicht befugt ist, dessen Aufenthalt 
dort nicht geduldet wird, sich daselbst auch nicht niederlassen kann. 
Soweit daher ein Bundesstaat befugt ist, den Angehörigen anderer 
Bundesstaaten in seinem Gebiet den Aufenthalt zu versagen, kann 
er auch eine Niederlassung derselben in seinem Gebiete ver- 
wehren und mithin den Eintritt der Voraussetzung hindern, an welche 
das Gesetz das Recht auf Verleihung der Staatsangehörigkeit knüpft. 
Die Gründe, welche einen Bundesstaat berechtigen, einem Angehörigen 
eines anderen Bundesstaates in seinem Gebiet den Aufenthalt zu ver- 
sagen, sind reichsgesetzlich festgestellt in dem Freizügigkeitsgesetz vom 
1. November 1867, 88 2-51); dieselben Gründe berechtigen ihn 
demnach, einem Angehörigen eines anderen Bundesstaates die Ver- 
leihung der Staatsangehörigkeit zu versagen. Diese Folgerung, welche 
nach den vorstehenden EFrörterungen sich von selbst ergibt, ist von 
dem Gesetz ausdrücklich gezogen worden, indem es im $ 7 die Klausel 
hinzugefügt hat: 
»sofern kein Grund vorliegt, welcher nach den $8$ 2—5 des Ge- 
setzes über die Freizügigkeit vom 1. November 1867 die Abwei- 
sung eines Neuanziehenden oder die Versagung der Fortsetzung 
des Aufenthalts rechtfertigt«. 
Dieser Zusatz begründet aber, ebenso wie die 88 1—5 des Frei- 
zügigkeitsgesetzes, für die Staaten nur eine Berechtigung, keine Ver- 
pflichtung zur Abweisung einwandernder Reichsbürger; er ist eine 
Beschränkungihrer reichsgesetzlichen Pflicht, die Angehörigen 
anderer Bundesstaaten als Staatsbürger aufzunehmen, aber kein Ver- 
bot?). Es ist daher keinem Staate verwehrt, trotzdem einer der Ver- 
sagungsgründe des Gesetzes vorliegt, die Staatsangehörigkeit, und damit 
auch das Recht zum Aufenthalt und der Niederlassung, einem bis- 
herigen Angehörigen eines anderen Bundesstaates zu erteilen. 
Wird das Gesuch eines Deutschen um Aufnahme aus einem reichs- 
1) Diese Gründe sind: bei unselbständigen, d. h. einer familienrechtlichen Ge- 
walt unterworfenen Personen Mangel der Genehmigung des Gewalthabers ($ 2), po- 
lizeiliche Aufenthaltsbeschränkungen bestrafter Personen (8 3), Mangel hinreichender 
Kräfte zur Beschaffung des notdürftigen Lebensunterhalts, wobei das Gesetz unter- 
scheidet zwischen der Gestattung, an einem Orte anzuziehen ($ 4), und der Ent- 
ziehung der Erlaubnis, nach erfolgtem Anzuge den Aufenthalt fortzusetzen ($ 5). 
Eine Erläuterung dieser Bestimmungen geben Arnoldt, Die Freizügigkeit und der 
Unterstützungswohnsitz, Berlin 1872, S. 33—60; Seydel, Annalen 1876, S. 163 ff.; 
Löning, Verwaltungsrecht S. 262 ff; Cahn S.58ff.; G. Meyer, Verwaltungs- 
recht I, 8 85; Dames, Freizügigkeit und Aufenthalt und deren Beschränkungen, 
Würzburg 1893. 
2) 8 7 des Gesetzes sagt: „die Aufnahmeurkunde wird jedem Angehörigen eines 
anderen Bundesstaates erteilt“, d. h. sie muß erteilt werden, der Staat darf die 
Verleihung nicht versagen, „sofern kein Grund vorliegt“ etc,
	        
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