Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 2. Die Gründung des Norddeutschen Bundes. 9 
noch eine Fortwirkung von Bundesbeschlüssen, soweit nicht erworbene 
Rechte durch dieselben zu Zeiten des Bundes schon begründet waren'). 
Der Bund hatte keinerlei gesetzgebende Gewalt. Weder die Bundesakte 
noch die Wiener Schlußakte sind Gesetze, trotzdem sie Grundgesetze 
des Deutschen Bundes hießen; kein Bundesbeschluß war ein Gesetz, 
selbst wenn er Bundesgesetz genannt wurde, sondern nur eine Ver- 
einbarung über die von den einzelnen Staaten zu erlassenden Gesetze 
oder über das völkerrechtliche Bundesverhältnis der Einzelstaaten 
selbst. Der Mißbrauch, der mit dem Worte »Bundesrecht« getrieben 
wurde, ist allerdings weit verbreitet gewesen; für die juristische Be- 
trachtung ist aber nicht der Klang des Wortes, sondern die rechtliche 
Natur der Sache maßgebend. Ein von dem Landesrecht der einzelnen 
Staaten verschiedenes Bundesrecht, das einen anderen Inhalt als 
die vertragsmäßige Normierung des Bundesverhält- 
nisses und deren Ausführung im einzelnen hatte, gab es nicht. Alles, 
selbst durch Bundesbeschlüsse provozierte und in allen deutschen 
Staaten gleichmäßig geltende Recht war ohne Ausnahme nicht Bundes- 
recht, sondern Landesrecht?) Dieses Recht ist daher auch durch 
die Auflösung des Deutschen Bundes nicht beseitigt worden, eben 
weil es kein Bundesrecht war. Dagegen ist alles Bundes- 
recht, d. h. der Inbegriff aller vertragsmäßigen und statutarischen 
Bestimmungen über den völkerrechtlichen Verein, welcher unter den 
deutschen Staaten mit der Bezeichnung Deutscher Bund bestanden 
hat, mit der Auflösung dieses Vereins gegenstandslos geworden und 
vollständig und in allen Beziehungen in Wegfall gekommen. 
8 2. Die Gründung des Norddeutschen Bundes. 
Die Geschichte der Bestrebungen und Versuche zur Herstellung 
einer Verfassung, welche den politischen Bedürfnissen und Wünschen 
des deutschen Volkes genüge, läßt sich bis in eine entlegene Zeit zurück- 
führen. Nicht nur die ganze Periode des ehemaligen Deutschen Bun- 
des ist von diesen Tendenzen erfüllt und politisch bewegt worden, 
mögens auf die einzelnen Staaten war keine Sukzession, sondern eine Auseinander- 
setzung, eine Aufteilung, wie sie bei jeder Gesellschaft im Falle der Auflösung er- 
folgt. Die Behauptung von Huber, Die Staatensukzession, 1898, S. 303, daß, wenn 
keine Sukzession stattgefunden hätte, das Bundesvermögen res nullius hätte werden 
müssen, ist daher unrichtig. Ueber das bewegliche Eigentum in den vormaligen Bun- 
desfestungen wurde unter den beteiligten Staaten ein besonderer Vertrag am 6. Juli 
1869 geschlossen. Staatsarchiv XVII, Nr. 3917. 
1) In einem Bericht des Bundesrats-Aussch. f. Justizwesen von 1873 (Druck- 
sachen Nr. 30) heißt es: „Der Nordd. Bund war keine Fortsetzung des Deutschen 
Bundes, seine Verfassung keine Novelle zur Bundesakte, sondern ein von Grund auf 
neues, auf selbständigen Grundlagen errichtetes Verfassungswerk. Zu keiner Zeit 
und mit keinem Akte hat der Nordd. Bund oder das Reich die Erbschaft des alten 
Bundes übernommen.“ 
2) Thudichum S. 6.
	        
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