Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

182 8 20. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfassung. 
8 20. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfassung *). 
I. Der Art. 3 der Reichsverfassung stellt den Grundsatz an die Spitze: 
Für ganz Deutschland besteht ein gemeinsames 
Indigenat mit der Wirkung, daß der Angehörige 
(Untertan, Staatsbürger) eines jeden Bundes- 
staates in jedem anderen Bundesstaate alsIn- 
länder zu behandeln ist. 
Dieses Indigenat ist in der Literatur anfänglich mit dem Reichs- 
bürgerrecht identifiziert worden und man hat vorzugsweise in ihm den 
Inhalt des Reichsbürgerrechts zu finden geglaubt. Aus den einzelnen 
Konsequenzen dieses Prinzips hat man reichsbürgerliche Grundrechte 
gemacht, namentlich das Recht zum Wohnsitz, zum Gewerbebetrieb, 
zur Erwerbung von Grundstücken u. s. w. Dies ist unrichtig. Ein 
subjektives, individuelles Recht begründet der Art. 3 überhaupt gar 
nicht; auch dann nicht, wenn man selbst zugeben könnte, daß die 
Aufhebung von Beschränkungen der natürlichen 
Handlungsfähigkeit, z. B. die sogenannte Zugfreiheit, Gewerbefreiheit, 
Preßfreiheit u. s. w., als subjektive Rechte der einzelnen logisch ge- 
dacht werden können. Denn der Art. 3 enthält auch hiervon nichts. 
Er sagt nicht, jeder Deutsche hat das Recht zum festen Wohnsitz, zum 
Gewerbebetriebe u. s. w, im ganzen Bundesgebiet; sondern als Konse- 
quenzen des durch ihn begründeten Indigenats hebt er hervor, daß 
der Angehörige eines jeden Bundesstaates in jedem anderen Bundes- 
staate 
»zum festen Wohnsitz, zum Gewerbebetriebe, zu öffentlichen 
Aemtern, zur Erwerbung von Grundstücken, zur Erlangung des 
Staatsbürgerrechtes und zum Genusse aller sonstigen bürgerlichen 
Rechte unter denselben Voraussetzungen wie der 
Einheimische zuzulassen, auch in betreff der Rechtsver- 
folgung und des Rechtsschutzes demselben gleich zu be- 
handeln ist.« 
Ueber die Voraussetzungen und Bedingungen der Niederlassung, 
des Gewerbebetriebes, der Anstellung im Staatsdienst, der Rechtsver- 
folgung ‘und des Rechtsschuizes u. s. w. enthält. der Art. 3 der Ver- 
fassung demnach gar keine Anordnung; er verfügt nur die gleiche 
Leoni 812, Note 8 undBazille u Köstlin S. 258 den Verlust der Staatsange- 
hörigkeit auf denjenigen Staat, dessen Zentralbehörde ihn ausgesprochen hat; Cahn 
S. 145 endlich meint, daß im Falle des 8 20 die Staatsangehörigkeit in allen Bundes- 
staaten, im Falle des $ 22 nur in dem aberkennenden Staate verloren werde. 
* Literatur. v. Flottwell, Was bedeutet das deutsche Heimatswesen, 
Potsdam 1867; Brückner, Ueber das gemeinsame Indigenat, Gotha 1867; v. Groß 
im Gerichtssaal Bd. 19, S. 330 ff. (1867); Kletke, Das norddeutsche Bundesindi- 
genat, Berlin 1871. Besonders die gute Dissert. von Bockshammer, Das Indigenat 
des Art. 3 der D.RV., Tübingen 1896. Seydel, Kommentar, 2. Aufl., S. 49 ff. An- 
schütz, Enzyklop. S. 528 fg.
	        
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