8 20. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfassung. 183
Behandlung aller Reichsangehörigen wie der Angehörigen des eigenen
Staates. Er enthält daher keine positive Bestimmung über die Rechte
der Reichsangehörigen, sondern lediglich den negativen Satz: Kein
Deutscher darfin rechtlicher Beziehung ungünsti-
geren Regeln unterworfen werden als der Angehörige
deseigenen Staates!).
Der Art. 3 stellt demnach nur einen objektiven Rechtssatz
hin, für dessen Anwendung das Reich und folglich auch das Reichs-
bürgerrecht gar keine logisch-notwendige Voraussetzung ist. Auch jeder
Einheitsstaat kann den Grundsatz gesetzlich feststellen, daß alle recht-
lichen Beschränkungen der Ausländer aufgehoben werden, daß Aus-
länder und Staatsangehörige vor dem Gesetze gleich zu behandeln
seien; ebenso können völlig unabhängige Staaten vertragsmäßig verein-
baren, daß sie wechselseitig die Untertanen der anderen wie die eige-
nen behandeln wollen?). Deshalb konnte Art. 3 der Reichsverfassung
in Elsaß-Lothringen dureh das Gesetz vom 9. Juni 1871 sofort in
Wirksamkeit gesetzt werden, lange Zeit vor Einführung der Reichs-
verfassung, und es war seine Einführung gerade dort wegen der rigo-
rosen Härte, mit welcher das französische Recht Ausländer behandelt,
besonders dringend geboten und von praktischer Wirksamkeit. Das
Indigenat des Art. 3 ist daher kein Ausfluß des Reichsbürgerrechts
und kann andererseits ebensowenig dazu dienen, das Reichsbürger-
recht zu konstruieren ).
1) Nicht einmal ein Wohnrecht im Bundesgebiet hat der Art. 3 gewährt;
denn wofern das Landesgesetz die Ausweisung oder Internierung von Inländern
gestattete, konnten alle Bundesangehörigen ausgewiesen oder interniert werden. Erst
das Freizügigkeitsgesetz hat den Reichsangehörigen das Recht, im ganzen
Bundesgebiet sich aufzuhalten und sich niederzulassen, gewährleistet. Daher ist die
Ausführung in Goltdammers Archiv Bd. 16, S. 466 nicht ganz korrekt. Große
Schwierigkeiten der Interpretation machen die Worte „Erlangung des Staatsbürger-
rechts“, da es nicht verständlich ist, wie der Staatsfremde das Staatsbürgerrecht
unter denselben Voraussetzungen wie der Einheimische soll erlangen können. Vgl.
über die verschiedenen Versuche der Auslegung Bockshammer S. 25ff. Wahr-
scheinlich beruht die Einschiebung dieser Worte auf einem Redaktionsversehen. Vgl.
auch Bockshammer S. 55.
2) Dies ist in annäherndem Maße erfolgt in dem Niederlassungsvertrag zwischen
dem Deutschen Reich und der Schweizer. Eidgenossenschaft vom 31. Mai 1890 (RGBl.
S. 131) und mit den Niederlanden vom 17. Dez. 1904 (RGB]l. 1906 S. 879). In einigen
Beziehungen war auch unter den Staaten des ehemaligen Deutschen Bundes die
Gleichstellung der Angehörigen derselben vereinbart worden durch die Bundesakte
Art. 18 und einige Bundesbeschlüsse. Mandry 84, Note 13; Stobbel, S. 320.
Eine volle Gleichstellung fast in allen im Art. 3 der Reichsverfassung erwähnten Be-
ziehungen ist den Reichsangehörigen im Kongostaate zugesichert durch die
Uebereinkunft vom 8. November 1884 (RGBl. S. 211). Ebenso durch zahlreiche
neuere Staatsverträge mit ostasiatischen Staaten.
3) Im wesentlichen richtig Rud. Brückner in der angeführten Schrift und
Seydel, Kommentar S. 51. Auch bei den Verhandlungen im verfassungsberatenden
Reichstage wurde die wahre Bedeutung des Art. 3 sehr richtig charakterisiert; na-
mentlich von v. Wächter (Stenographische Berichte S. 251) und von Braun-