Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

184 8 20. Das Indigenat des Art. 3 der Reichsverfassung. 
Der Art. 3 war in materieller Beziehung völlig wirkungslos, soweit 
bei Einführung der Verfassung in den einzelnen Staaten Angehörige 
anderer deutscher Staaten oder überhaupt Fremde den eigenen Staats- 
bürgern bereits gleich behandelt wurden, und er begründet auch jetzt 
nirgends einen Anspruch der Deutschen, vor Ausländern bevorzugt 
oder begünstigt zu werden, sondern eben nur nicht schlechter als die 
Angehörigen des Staates behandelt zu werden. Seine praktische Be- 
deutung läßt sich vielmehr in folgende zwei Rechtssätze zusammen- 
fassen: 
1. Alle in den einzelnen deutschen Staaten bestehenden Rechts- 
regeln, wonach Fremde ungünstiger als die eigenen Staatsangehörigen 
zu behandeln sind, werden in Ansehung der Angehörigen der übrigen 
Bundesstaaten aufgehoben !). 
2. Kein deutscher Staat darf künftig im Wege der Gesetzgebung 
oder Verwaltung Anordnungen treffen, durch welche rechtliche Un- 
gleichheiten zwischen den eigenen Angehörigen und den Angehörigen 
der übrigen deutschen Staaten begründet werden ?). 
Der erste dieser Sätze brachte eine weitreichende Aenderung der 
Wiesbaden (S. 255). Dagegen kann man den Sinn des Art. 3 kaum unrichtiger wie- 
dergeben, als dies in einem Bericht des Bundesausschusses für Justizwesen vom 
12. Dezember 1868 (Hirths Annalen II, S.14) in dem an die Spitze gestellten Satze 
geschehen ist: „Nach Art. 3 sollen kraft des in der Verfassung anerkannten Bundes- 
indigenats die Angehörigen des einen Bundesstaats zugleich als Angehörige 
der anderen Bundesstaaten gelten.“ In der neuesten Literatur ist 
die hier entwickelte Ansicht unbestritten. Nur v. Sarwey, Württ. Staatsr. I, S. 143 
hat aus dem Art.3 wieder ein „Reichsbürgerrecht“ abgeleitet. Auch Hesse, „Gibt 
es eine unmittelbare Reichsangehörigkeit?“ (Leipz. Dissert.) Jena 1905 hat einen 
verfehlten Versuch dazu gemacht. 
1) Es ist die Ansicht aufgestellt worden, daß dieser Grundsatz des Art. 3 auch 
auf juristische Personen anwendbar sei. BrücknerS.6; Hiersemenzel 
I, S. 2833; Urteil des Reichsgerichts von 1882 (Entsch. in Civils. Bd. 6, 
S. 134) und namentlich Bockshammer S. 73 ff. u. Isay, Die Staatsangehörigkeit 
Jurist. Personen 1907 (Abh. v. Zorn u. Stier-Somlo Bd. 3, Heft 2). Allein dies entspricht 
weder dem Wortlaut des Art. 3, in welchem dem Wort „Angehörige“ in Parenthese 
beigefügt ist „Untertan, Staatsbürger“, noch der Natur der Sache, da juristische Per- 
sonen wohl einen Wohnsitz, aber keine Staatsangehörigkeit haben, auch die Gehorsams- 
und Treupflicht der Untertanen von ihnen nicht erfüllt werden kann. Die richtige 
Ansicht ist ausführlich begründet von Seydel, Kommentar S. 55fg. und angenom- 
men von Zorn], S. 349; G. MeyerS$ 214, Note3. Anschütz S. 529. Vgl. auch 
Stobbe, Deutsches Privatrecht I, S. 215 fg. u. Gierke, Deutsches Privatrecht I, 
866 Note 12 a. E. Hinsichtlich des Gewerbebetriebes kommen aber die 
Vorschriften der Gewerbeordnung in Betracht, welche den Grundsatz der Ge- 
werbefreiheit gleichmäßig für physische und juristische Personen aufstellt und nur 
hinsichtlich der juristischen Personen des Auslandes die Autonomie der Einzel- 
staaten aufrecht erhält (Gewerbeordn. 8 12). 
2) Im Art. 3 ist die praktische Tragweite des im Abs. 1 ausgesprochenen Grund- 
satzes noch besonders im Abs. 2 hervorgehoben. „Kein Deutscher darf in der Aus- 
übung dieser Befugnis durch die Obrigkeit seiner Heimat oder durch die Obrigkeit 
eines anderen Bundesstaates beschränkt werden.“
	        
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