Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

192 & 21. Begriff und staatsrechtliche Natur des Bundesgebietes. 
Gebiet zum Wesen des Staates gehört, ein begriffliches Moment des 
Staates sei, so könne es nicht dem Staat gegenübergestellt und als Ob- 
jekt seiner Herrschaft angesehen werden. Diese immer wiederkehrende 
Argumentation hat wenig Gewicht. Der Staat ist die rechtliche Or- 
ganisation eines seßhaften Volkes. Wie wird aber ein Volk seßhaft? 
Indem es ein Gebiet in Besitz nimmt, seiner Herrschaft unterwirft. 
Das Gebiet ist also nicht ein Teil der rechtlichen Organisation des 
Volkes, sondern eine Voraussetzung seiner Seßhaftigkeit; gerade 
dadurch, daß ein Volk die Herrschaft über ein Gebiet, ein Recht am 
Gebiet hat, wird es befähigt, sich zum Staat zu organisieren?). Auch 
die Staaten der Feudalzeit beruhten auf Besitz- und Herrschaftsrechten 
an Territorien. Das Herrschaftsrecht am Gebiet als echtes Sachenrecht 
bildet die historische Grundlage der Entwicklung der Staatsgewalt 
und die geschichtliche Auffassung des Staates muß von der Gebiets- 
hoheit den Ausgangspunkt nehmen. Aber auch bei der modernen 
Vorstellung vom Staat als der rechtlichen Ordnung einer Volksge- 
meinschaft bildet das Gebiet das dauernde, sich gleichbleibende, die 
staatliche Individualität bestimmende Moment, während die Staatsan- 
gehörigen einem fortwährenden Wechsel unterliegen. Auf der Be- 
herrschung eines bestimmten Gebietes beruht die zeitliche Identi- 
tät (Kontinuität) des Staates. Ebenso aber auch die räumliche 
Einheit; denn die Staatsgewalt beherrscht nicht nur Angehörige, 
sondern auch Fremde. Auch die Möglichkeit einer staatlichen Herr- 
schaft über Gebiete, deren Bewohner nicht staatsangehörig sind, z. B. 
über eroberte Länder, Schutzgebiete u. s. w., beweist, daß die Gebiets- 
hoheit ein selbständiges, von der korporativen Vereinigung der Staats- 
angehörigen begrifflich verschiedenes Recht des Staates ist. Demgemäß 
muß man anerkennen, daß ein Recht des Staates an seinem Territorium 
besteht, welches von seinen Hoheitsrechten über die Untertanen sub- 
stanziell verschieden und als ein staatsrechtliches Sachen- 
recht zu charakterisieren ist. Damit der Staat seine Aufgaben erfüllen 
könne, ergreift er nicht nur seine Angehörigen, sondern auch den 
Grund und Boden und unterwirft denselben seiner Willensmacht, 
seiner Gewalt. Auch an unbewohnten Stücken der Erdoberfläche kann 
eine Gebietshoheit bestehen und Wirkungen äußern, woraus sich er- 
  
  
Serie III Vol. 2 S. 77 ff. Auch die Definition des Gebiets als die räumliche Kompe- 
tenzgrenze der Staatsgewalt, welche Radnitzky im Arch. f. öffent. R. Bd. 20 
S. 313 ff. gibt, steht der Frickerschen Ansicht sehr nahe. Eine ausführliche Darstel- 
lung der Kontroverse unter Berücksichtigung der gesamten deutschen und italieni- 
schen Literatur gibt La Spada in der neapolitanischen Rivista giuridica e sociale 
IV S. 241 ff. (1907). 
1) Die beiFricker und anderen, z. B. Inama-Sternegg (Ztschr. f.d. ges. Staats- 
wiss. 26 S. 328) u. Preuss (Gemeinde, Staat, Reich als Gebietskörpersch. S. 394) 
wiederkehrende Bezeichnung des Gebiets als „Körper“ des Staats ist eine anthropo- 
morphische Spielerei, keine juristische Begründung. Sehr zutreffend sind die Be- 
merkungen von W. Rosenberg in der Zeitschr. f. d. ges. Staatsw. 1909 S. 55 fg.
	        
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