Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 21. Begriff und staatsrechtliche Natur des Bundesgebietes. 193 
gibt, daß das Gebiet nicht bloß die räumliche Begrenzung ist, inner- 
halb welcher der Staat seine Herrschaft über Personen ausübt, sondern 
daß das Gebiet das Objekt eines selbständigen Rechts des Staates 
ist. Andererseits ist eine noch so weitreichende Gewalt über Personen 
ohne diese sachenrechtliche Herrschaft über ein Gebiet, wie sie z. B. 
in einzelnen religiösen Orden besteht, keine Staatsgewalt!). 
Sowohl das Recht des Staates über die Untertanen wie das Recht 
desselben am Gebiete sind Herrschaftsrechte?); aber während 
das Herrschaftsrecht über die Untertanen eine Analogie findet an den 
familienrechtlichen Gewaltverhältnissen, teilt das Recht des Staates 
am Territorium mit dem privatrechtlichen Eigentum das begriffliche 
Merkmal der ausschließlichen und totalen Herrschaft über eine körper- 
liche Sache; nur die Art der Herrschaft, ihr Zweck und Inhalt sind 
verschieden. 
Die Gebietshoheit äußert sich wie das Eigentum in doppelter Rich- 
tung, dieman gewöhnlich als die negative und die positive bezeichnet. 
Die erste besteht in der Ausschließung jeder anderen koordi- 
nierten Staatsgewalt von demselben Territorium; da sie sich gegen die 
anderen Staaten kehrt, so kann man sie als völkerrechtliche 
Seite der Gebietshoheit bezeichnen. Nach dem Völkerrecht wird in 
der lat das Territorium eines Staates im Verhältnis zu anderen Staaten 
in völlig gleichartiger Weise wie das Eigentum in privatrechtlicher 
Beziehung behandelt?) Die Geschichte des Reichs selbst gibt dafür 
zahlreiche Beispiele. Die Okkupation von Schutzgebieten, die 
Zession von Elsaß-Lothringen, der Tausch von Witu gegen Helgo- 
land, der Kauf der Karolinen, die Pacht von Kiautschu, die Tei- 
lung der Samoainseln, die Umwandlung des schwedischen »Pfand- 
besitzes« an Wismar in »Eigenbesitz«*. Aus dem völkerrechtlichen 
1) Zu den sonderbarsten Kuriositäten der Literatur des Reichsstaatsrechts ge- 
hört die Schrift von H. Beta, Das neue Deutsche Reich, 1871, in welcher es dem 
Deutschen Reiche zum Vorwurf gemacht wird, daß es ein räumlich begrenztes Ge- 
biet habe und nicht alle in der ganzen Welt lebenden Deutschen umfasse, überhaupt 
nicht „kosmopolitisch“ sei. 
2) Vgl. oben S. 68 fg. 
8) Vgl. Klüber, Völkerrecht 8128; Heffter, Völkerrecht 8 64 f.:; Hart- 
mann, Institut. des Völkerr. 8 58 fg.; v. Bulmerincg (bei Marquardsen I], 2) 
S. 279 ff. Zu einseitig betont diese nach Außen gehende Richtung der Gebietshoheit 
Rosin.a.a. O. Wenn im Verhältnis der Staaten zu einander die Gebietshoheit ein 
publizistisches Sachenrecht ist, so scheint es mir eine notwendige Folge zu sein, 
daß dies auch in staatsrechtlicher Beziehung der Fall ist, d. h. daß der einzelne Staat 
an seinem Gebiet ein Herrschaftsrecht hat und daß gerade die ausschließliche recht- 
liche Herrschaft des Staats über sein Gebiet der Grund für diese völkerrechtliche 
Behandlung der Staatsgebiete ist. Vgl. auch Preuß S. 275 fg. Es verhält sich 
ebenso wie in dem Bereich des Privatrechts mit dem Eigentum, das eine rechtlich 
anerkannte Herrschaft über eine Sache und infolge dessen ein jus excludendi 
alios ist. 
4) Vertrag v. 20. Juni 1903 Art. 2 (RGBl. S. 299).
	        
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