8 21. Begriff und staatsrechtliche Natur des Bundesgebietes. 195
Leuten der Reichsgewalt untertan. Ihre Gebietshoheit haben sie inso-
weit behalten, als ihnen Herrschaftsrechte geblieben sind; sie ist auf
das Reich übergegangen, soweit das Reich die Hoheitsrechte der Einzel-
staaten auf sich vereinigt hat’. Die Kompetenzgrenze zwi-
schen Reich undEinzelstaatist zugleich die Grenze,
welche die Gebietshoheit des Reiches am Reichsge-
piet von der Gebietshoheit der Staaten am Staats-
gebiet scheidet.
Besteht am deutschen Land eine doppelte Gebietshoheit, so ist
dies doch keine in der Art geteilte, daß gewisse Herrschaftsbefugnisse
dem Reich, gewisse andere dem Einzelstaat in völlig begrifflicher und
praktischer Trennung zustehen. Sondern die Souveränität hat auch
in dieser Beziehung das Reich, die Einzelstaaten haben die Rechte der
Autonomie und Selbstverwaltung in ihren Territorien und mit der
hieraus sich ergebenden Beschränkung die Herrschaft über dieselben.
Hiernach kann man über das Verhältnis von Reich und Staat
hinsichtlich des Gebiets folgende Grundsätze aufstellen:
I. Soweit die eigene Verwaltung des Reiches sich
erstreckt, gibtesinnerhalb desBundesgebiets keine
Grenzen. Es tritt dies nicht sowohl dort hervor, wo das ganze
Bundesgebiet ein einziger Bezirk ist, als gerade bei den Verwaltungs-
ressorts, bei denen das Bundesgebiet in Bezirke abgeteilt ist. Für die
Abgrenzung dieser Bezirke sind die Grenzen der einzelnen Staaten
nicht vorhanden; sofern sie dennoch zusammenfallen, ist dies die Folge
von Zweckmäßigkeitserwägungen, nicht von Rechtsgründen. Das Reich
kann mehrere Staatsgebiete und Gebietsteile verschiedener Staaten zu
einem Verwaltungsbezirk vereinigen und in einem einzelnen Staate
mehrere getrennte Verwaltungsbezirke einrichten. Den umfassendsten
Gebrauch hat das Reich von dieser Befugnis gemacht bei der Abgren-
zung der Oberpostbezirke und der Bezirke der Tele-
graphendirektionen, der Bezirke der Disziplinarkam-
mern, sowiederArmeekorpsbezirke?) Nur wird die Landes-
zu verneinen; so insbesondere Seydel, Kommentar S, 34 fg.; Bayer. Staatsrecht I,
S. 839. Zur Unterstützung wird eine gelegentliche Aeußerung des Fürsten Bismarck
(Sitzung des Reichstages vom 1. April 1871, Stenogr. Berichte S. 95) angeführt, in
welcher die Redewendung vorkam, dafs „die Souveränität, die Landeshoheit, die Terri-
torialhoheit bei den einzelnen Staaten verblieben ist“. Andererseits bestreitet Bansi
S. 682 die Gebietshoheit der Einzelstaaten, weil er ihre Staatsqualität bestreitet.
1) Vgl. auch Rüttimann, Nordamerikan. Bundesstaatsrecht I, 8 58.
2) Beispiele für die Zusammenlegung von Gebietsteilen verschiedener Staaten
zu einem Oberpostbezirk enthält das Reichsgesetzblatt in großer Zahl; z. B.
die Allerhöchsten Erlasse vom 25. November 1868, 24. April 1869, 14. März 1871, 14. No-
vember 1871, 5. März 1873, 4. Dezember 1873; nicht minder sind in Preußen Oberpost-
bezirke vereinigt, in Sachsen und Baden die Staatsgebiete unter zwei Oberpostdirek-
tionen geteilt worden. Hinsichtlich der Telegraphenverwaltung istz. B.
das mecklenburgische Gebiet der Direktion in Hamburg, das hohenzollernsche Gebiet
der Direktion in Karlsruhe unterstellt. Erlaß vom 16. April 1870 und vom 19. Dezem-