Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

200 8 22. Gebietsveränderungen. 
gebiet aus den in diesem Artikel genannten »Staaten«, d. h. ihrem 
ganzen Gebiet, besteht'). 
Ebenso muß aber auch die Befugnis des Reiches, Gebietsteile eines 
Bundesstaates ohne dessen Zustimmung an einen außerdeutschen Staat 
freiwillig abzutreten, verneint werden. Das Reich kann nicht einem 
einzelnen Staate das Opfer einer Einbuße an Land und Leuten aufer- 
legen, wenn dieser Staat nicht freiwillig es übernimmt. Es kommt 
gerade hier das in der Mitgliedschaft enthaltene Recht jedes Einzel- 
staates auf gleichmäßige Behandlung mit allen anderen, die Unzulässig- 
keit, ihm höhere Lasten und größere, besondere Opfer zuzumuten, 
welches wir oben S. 116 ff. entwickelt haben, zur Anwendung. Daher 
könnte z. B. das Deutsche Reich nordschleswigsche Distrikte nicht 
ohne die besondere Zustimmung des preußischen Staates an Dänemark 
abtreten, so wenig wie bayerische ohne die Zustimmung Bayerns an 
Oesterreich. 
Soll ein Teil eines Staatsgebietes an einen auswärtigen Staat ab- 
getreten werden, so ist sowohl ein verfassungsänderndes Staatsgesetz 
des Einzelstaates als auch ein nach Art. 78 zustande gekommenes 
Reichsgesetz erforderlich; denn es handelt sich hier zugleich um eine 
Aenderung des Staatsgebietes und des Bundesgebietes?). 
b) Anders gestaltet sich die Frage hinsichtlich der in einem Frie- 
densschluß zugestandenen Abtretung von Bundesgebiet. Hier ist 
die Zustimmung des Staates, dessen Gebiet abgetreten werden muß, 
staatsrechtlich nicht erforderlich. Zwar nicht aus dem Grunde, weil 
im Falle des Krieges die Rechte der Einzelstaaten ruhten oder das 
Prinzip der Gleichberechtigung suspendiert wäre. Das Reich hat viel- 
mehr gerade im Kriege die Pflicht, sie alle gleichmäßig zu schützen 
und zu vertreten. Aber die Erfüllung dieser Pflicht kann tatsächlich 
1) Dies ist zutreffend von Sieskind S. 19 hervorgehoben worden. Sollten 
politische Umstände einmal eine solche Maßregel notwendig machen, was wohl nie- 
mals der Fall sein wird, so müßte der davon betroffene Staat in zwei durch Personal- 
union verbundene Staaten zerfallen. 
2) Uebereinstimmend Pröbst in Hirts Annalen 1882, S. 248; v. Sarweya. 
a.0.; Gaupp-Göz, Württemb. Staatsrecht S. 16; G. Meyer $ 164, Anm. 13; 
Preuß S. 410fg. u. a. (Vgl. die Literaturangaben beiMeyer.) Eine praktische An- 
wendung haben diese Rechtssätze gefunden bei dem Gebietsaustausch, welcher zwi- 
schen Baden und der Schweiz vollzogen worden ist. Derselbe ist zunächst durch 
einen Staatsvertrag zwischen diesen beiden Staaten vom 28. April 1878 und sodann 
durch einen Staatsvertrag zwischen dem Deutschen Reich und der Schweiz vom 24. 
Juni 1879 (Reichsgesetzbl. 1879, S. 307) festgestellt worden. Der letztere erkennt den 
badisch-schweizerischen Vertrag „für das Deutsche Reich als rechtsgültig“ an. Beide 
Verträge sind im Wege der (Landes- bezw. Reichs-)Gesetzgebung genehmigt worden. 
Ebenso ist zu der Grenzberichtigung zwischen Preußen und Oesterreich und zwi- 
schen Preußen und Dänemarck die Zustimmung des Reichs durch die Reichsgesetze 
vom 22. Januar 1902 (RGBl. S. 31. 32) erteilt worden. Desgleichen zu dem Vertrage 
zwischen Schweden und Mecklenburg betreffend Wismar vom 20. Juni 1903 (RGBl. 
1904 S. 295).
	        
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