Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

220 8 25. Das Subjekt der kaiserlichen Rechte. 
auch die Regierung des Deutschen Reiches provisorisch durch das 
preußische Staatsministerium führen zu lassen«. In weiterer Ausfüh- 
rung dieses Gedankens und sachlich ganz übereinstimmend äußert sich 
v. Mohl, Reichsstaatsrecht S. 284 fg. '!). 
Es liegt hier meines Ermessens eine vollständige Verkennung des 
im Art. 11 der Reichsverfassung ausgesprochenen Rechtsprinzips vor. 
Das deutsche Kaisertum ist kein Recht, welches selbständig, d. h. 
unabhängig von der Krone Preußens erworben oder ausgeübt werden 
könnte; es ist ein Akzessorium der preußischen Krone. Das Reichs- 
recht enthält daher auch über den Erwerb der Kaiserwürde keinen 
einzigen Rechtssatz und könnte keinen aufstellen, ohne den im Art. 11 
der Reichsverfassung enthaltenen Rechtsgrundsatz für gewisse Eventua- 
litäten zu beseitigen. Würde der Erwerb der Kaiserwürde irgend eine 
Voraussetzung mehr oder weniger oder anders haben als der Erwerb 
der preußischen Krone, so wäre die Möglichkeit gegeben, daß deut- 
sches Kaisertum und preußisches Königtum auseinanderfallen. Ihre 
dauernde verfassungsmäßige Vereinigung in demselben Subjekt ist nur 
möglich, wenn entweder das Reichsrecht positiv die Grundsätze über 
den Erwerb der Kaiserkrone regelt und bestimmt: »Wer Kaiser ist, 
ist zugleich ipso jure immer auch König von Preußen«; oder, wenn 
das Reich vollständig die gesamte Ordnung des Rechts auf die Krone 
dem preußischen Staatsrecht überläßt und sich auf den einfachen 
Rechtssatz beschränkt: die Kaiserwürde folgt ipso jure der preußischen 
Königskrone. Daß das letztere geschehen, der Erwerb des preußischen 
Throns das prius, das Präsidium des Bundes das Akzessorium ist, kann 
einem Zweifel nicht unterliegen. 
In der Tat handelt es sich daher bei Anwendung des Art. 11 der 
Reichsverfassung gar nicht um eine Anwendung preußischer Verfas- 
sungssätze auf das Reich oder um eine Einwirkung preußischer Staats- 
organe auf Reichsangelegenheiten. Diese Einwirkung ist eine faktische, 
keine rechtliche. Die Anordnungen der preußischen Verfassung über 
Thronfolgerecht und Regentschaft finden nur in Preußen Anwendung, 
der preußische Landtag und das preußische Staatsministerium handeln 
nur für Preußen. Die Einrichtung einer Regentschaft in Preußen ist 
eine ausschließlich preußische Staatsaktion. Aber das Reichsrecht knüpft 
kraft eines objektiven Rechtssatzes, dessen Wirkung der Willensmacht 
des preußischen Landtages gänzlich entzogen ist und ebenso ohne jeden 
Willensakt und ohne jede Beschlußfassung des Bundesrats und Reichs- 
tages eintritt, an die Erlangung der preußischen Krone die Folge des 
Erwerbes der Kaiserwürde an. Das rechtliche Interesse des Reiches 
ist auf den einen Punkt beschränkt, daß dieselbe Person die Rechte 
der preußischen Krone und die Präsidialbefugnisse ausübe; es erstreckt 
1) Vgl. auch v. Pözl, Supplement zum bayer. Verfassungsrecht S. 106, Note 3, 
der jedoch in der 5. Aufl. des bayer. Verfassungsrechts S. 591, Note 2 der hier ver- 
tretenen Ansicht sich angeschlossen hat.
	        
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