Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

222 S 25. Das Subjekt der kaiserlichen Rechte. 
Damit ist dann aber von selbst die Folge gegeben, daß hinsicht- 
lich der Fälle, in welchen eine Regentschaft eingerichtet werden muß, 
über das Recht zur Uebernahme der Regentschaft, über die gesetzliche 
Fürsorge für den Fall, daß kein volljähriger Agnat vorhanden ist, über 
das eventuell eintretende Wahlrecht des Landtages, über die interimi- 
stische Führung der Regierung durch das Staatsministerium und über 
den Antritt der Regentschaft, einzig und allein die Bestimmungen der 
preußischen Verfassung (Art. 56—58) zur Anwendung kommen können. 
Die Einrichtung einer Regentschaft in Preußen ist für das Reich ganz 
ebenso wie ein Thronwechsel in Preußen, der durch Todesfall her- 
beigeführt wird, ein tatsächliches Ereignis, dessen Folgen es hinneh- 
men muß!). 
Auch in einer anderen Richtung hat eine Bestimmung der preu- 
Bischen Verfassungsurkunde zu Bedenken hinsichtlich des Erwerbes 
der kaiserlichen Rechte Veranlassung gegeben. Im Art. 54 der preu- 
Bischen Verfassungsurkunde wird nämlich dem Könige von Preußen 
die Ableistung eines Verfassungseides zur Pflicht gemacht. Hieraus 
folgert nun v. Rönne.aa. 0.1, 826, S. 225, »daß, so wie der Nach- 
folger in der preußischen Krone, wenn er es unterlassen oder sich 
ausdrücklich weigern sollte, der Verpflichtung des Abs. 2 des Art. 54 
nachzukommen, rechtlich nicht befugt ist, die durch die 
preußische Verfassungsurkunde mit der preußischen Krone verbunde- 
nen Regierungsrechte auszuüben, derselbe auch rechtlich nicht die 
Befugnis hat, die durch die Verfassung des Deutschen Reiches nur 
dem jedesmaligen Inhaber der preußischen Krone übertragenen Re- 
gierungsrechte auszuüben.« Uebereinstimmend hiermit ist v. Mohl, 
Reichsstaatsrecht S. 284. Diese Folgerung für das Reichsrecht wäre 
richtig, wenn der von v. Rönne angenommene Satz des preußischen 
Staatsrechtes begründet wäre. In seinem Staatsrecht der preußischen 
Monarchie I, $ 185 führt er aus, daß die Ableistung des Eides eine 
»Bedingung« der Ausübung der verfassungsmäßigen Rechte des Königs 
sei und daß im Falle der Verweigerung des Verfassungseides die Re- 
gierung des Königs vorläufig eine rein tatsächliche, nicht aber eine 
rechtliche und verfassungsmäßige sei?). Diese Auffassung wäre nur 
dann gerechtfertigt, wenn die preußische Verfassungsurkunde sie aus- 
drücklich bestätigen würde‘); da dieselbe aber über die Folgen der 
Verweigerung oder Verzögerung der Eidesleistung gar nichts bestimmt, 
so muß die von v. Rönne aufgestellte Theorie, weil sie mit den 
Grundsätzen des monarchischen Staatsrechts im Widerspruch steht, 
1) Diese Grundsätze haben leider bereits praktische Anwendung gefunden. Vgl. 
den Erlaß vom 4. Juni 1878 (Reichsgesetzbl. S. 101) über die Einsetzung, und den 
Erlaß vom 5. Dezember 1878 (Reichsgesetzbl. S. 363) über die Beendigung einer Re- 
gierungsstellvertretung. 
2) Die Theorie beruht auf den Ausführungen v. Mohls in dessen Württemb. 
Staatsr. I, S. 172 ff. 3) Wie z. B. die belgische Verf. Art. 79, Abs. 3.
	        
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