8 26. Der Inhalt der kaiserlichen Rechte. 229
Den anderen Organen des Reichs gegenüber ist die Funktion des
Kaisers dadurch gekennzeichnet, daß er allein für das Reich han-
deln kann. Bundesrat und Reichstag können nur Beschlüsse
fassen, niemals sie zur Ausführung bringen oder Handlungen vor-
nehmen; sie können Gesetze beschließen, sie aber nicht verkündigen
oder ihre Befolgung »verordnen«; sie können keinen Verwaltungsakt
irgend welcher Art vornehmen, keine Behörde errichten, keinen Be-
amten ernennen, keinen Dienstbefehl erteilen. Die Ernennung und
Entlassung des Reichskanzlers und der Reichsbeamten steht dem Kaiser
allein zu, ohne daß der Bundesrat und der Reichstag dabei irgend
einen rechtlichen Anteil haben!). Der Bundesrat kann die Exekution
gegen einen Bundesstaat beschließen, aber sie nicht vollstrecken. Bun-
desrat und Reichstag können Niemandem etwas befehlen oder ver-
bieten, etwas verleihen oder entziehen, jemanden belohnen oder strafen;
sie können in keiner Beziehung das Reich vertreten, weder nach Außen
noch nach Innen. Sie sind vollkommen handlungsunfähig:;
sie können Handlungen des Reichs bestimmen, veranlassen, verhin-
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Person ein Organ habe, welches befugt und verpflichtet ist, sie gegen andere Rechts-
subjekte zu vertreten, die Geschäftsführung zu leiten, die Mittel, über welche die
juristische Person zur Erreichung ihrer Zwecke verfügt, zu verwalten. Ein solches
Organ ist bei jeder juristischen Person, mag sie Aktienverein, oder Innung, oder
Kirche, oder Kommunalverband, oder Staat, oder was sonst sein, ausnahmslos vor-
handen, unbeschadet der großen Verschiedenheit in den Bezeichnungen, dem Verhält-
nis zu andern Organen und dem tatsächlichen Inhalt der Befugnisse und Pflichten.
Da das deutsche Kaisertum sich weder dem historisch hergebrachten Begriff „Kaiser
-= souveräner Monarch“ noch dem mit dem Worte Bundespräsident bezeichneten Begriff
„durch Wahl ernannter höchster Beamter“ unterordnen läßt, so muß eine allge-
meinere Begriffskategorie aufgesucht werden, deren charakteristische Kriterien bei
dem Kaisertum wiederkehren, wofern man nicht die Aufgabe der Rechtswissenschaft
mit einer faden Aneinanderreihung der in den Reichsgesetzen enthaltenen Bestim-
mungen über die kaiserlichen Befugnisse für erledigt ansieht. Der Einwand, den
namentlich Stoerk erhebt, daß dieser Begriff wegen seiner Allgemeinheit unbrauch-
bar sei und nur durch die konkrete Gestaltung, die er in seiner Differenzierung er-
halte, einen festen Inhalt gewinne, ist nicht stichhaltig; denn er läßt sich gegen
alle Rechtsbegriffe erheben. Wie unendlich verschiedenartig und in ihrer Bedeu-
tung für das praktische Leben von einander abweichend sind die Verhältnisse, welche
sich dem allgemeinen Begriff der Sozietät, des Mandats, des dinglichen Rechts, des
Delikts u. s. w. unterordnen? Sollen diese Begriffe deshalb aus der Dogmatik des
Rechts gestrichen werden? Dies hieße die Rechtswissenschaft überhaupt streichen.
Ganz verfehlt aber ist es, die juristische Natur eines Rechtsinstituts durch un-
Juristische Schilderungen charakterisieren zu wollen, wie dies Gierke a..a.0.
tut, der dem Kaiser „eine überragende Stellung innerhalb der Reichsgesamtheit“,
„ein potenziertes Reichsbürgerrecht“, „die persönliche Eigenschaft eines staatsrecht-
lichen Hauptes des deutschen Volkes“, eine in ihrer Art einzige und höchste Glied-
persönlichkeit“ beilegt. Dies alles ist unzweifelhaft ebenso richtig als juristisch
nichtssagend.
1) Eine Anomalie bildet die Ernennung der Mitglieder des bayer. Senats des
Reichsmilitärgerichts; dagegen ist das Recht des Bundesrats, für einzelne Stellen im
Reichsdienst Vorschläge zu machen, kein Eingriff in das Ernennungsrecht des
Kaisers.