Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

232 $ 26. Der Inhalt der kaiserlichen Rechte. 
der ihm obliegenden Regierungstätigkeit sind. Es äußert sich diese, 
dem Kaiser obliegende Funktion in folgenden Hauptrichtungen: 
a) Die Tätigkeit der übrigen Organe des Reiches, des Bundesrates 
und Reichstages, wird von dem Kaiser in Gang erhalten und gewisser- 
maßen reguliert!)., Ihm steht es zu, den Bundesrat und den Reichstag 
zu berufen, zu eröffnen, zu vertagen und zu schließen (Art. 12); er er- 
nennt den Vorsitzenden des Bundesrates (Art. 15); er bringt die von 
den Bundesgliedern gemachten Vorschläge im Bundesrate zur Bera- 
tung (Art. 7, Abs. 2); in seinem Namen werden die Beschlüsse des 
Bundesrates an den Reichstag gebracht (Art. 16); und nach erzielter 
Uebereinstimmung zwischen Bundesrat und Reichstag steht ihm die 
Ausfertigung und Verkündigung der Reichsgesetze zu (Art. 17). 
b) Dem Kaiser liegt die Ueberwachung der Ausführung der Reichs- 
gesetze ob (Art. 17, 36, Abs. 2) und teils die Reichsverfassung selbst, 
teils eine bedeutende Anzahl von Reichsgesetzen ermächtigen ihn zum 
Erlaß von Verordnungen, welche zur Ausführung einzelner Reichs- 
gesetze erforderlich sind. 
c) Der Kaiser ernennt nach freiem Belieben den Reichskanzler, 
den verantwortlichen Minister des Reiches, und kann ihn nach freiem 
Belieben in den Ruhestand versetzen?). Dadurch ist dem Kaiser die 
oberste Leitung der Regierung übertragen; er bestimmt die Richtung 
der Politik, die Zielpunkte der staatlichen Geschäftsführung des Reiches. 
Wenn auch tatsächlich die Führung der Geschäfte dem Reichskanzler 
obliegt, so ist derselbe doch rechtlich lediglich das Willenswerkzeug 
und der Gehilfe des Kaisers. 
Auch die übrigen Reichsbeamten werden vom Kaiser ernannt und 
erforderlichen Falles entlassen oder in den Ruhestand versetzt°). (Reichs- 
verfassung Art. 18.) 
d) Dem Kaiser liegt die Wahrnehmung der auswärtigen Bezie- 
hungen des Reiches ob, die Aufrechthaltung des diplomatischen Ver- 
kehrs‘), die Anbahnung und Führung von Verhandlungen über abzu- 
schließende völkerrechtliche Verträge, die Wahrnehmung der Interessen 
des Reiches, seiner Mitglieder und seiner Angehörigen fremden Staaten 
gegenüber. (Reichsverfassung Art. 11, 56.) 
3. Der Kaiser ist der Verwalter der Machtmittel 
des Reiches. 
1) Auch in dieser Hinsicht bietet die Einwirkung des Kaisers auf die Tätigkeit 
des Bundesrates und Reichstages vielfache Analogien zu den Funktionen des Vorstan- 
des einer juristischen Person des Privatrechts. 
2) Reichsverfassung Art. 15. Reichsbeamtengesetz 8 25. 
3) Siehe unten die Lehre von den Reichsbehörden und Reichsbeamten. 
4) Natürlich nur, insofern der Kaiser denselben für erforderlich oder nützlich 
erachtet. Aus dieser, in der Natur der Regierungstätigkeit liegenden Handlungs- 
freiheit macht v. Mohl, Reichsstaatsrecht S. 310 ein besonderes, dem Kaiser zu- 
stehendes „unbeschränktes Recht der Abbrechung des diplomatischen Ver- 
kehres“'
	        
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