236 $ 27. Wesen des Bundesrates.
spondiert vollständig mit der Doppelstellung des Kaisers. Sowie der
Kaiser teils Mitgliedschaftsrechte hat als König von Preußen, teils Organ
des Reiches ist und als solches die Präsidialbefugnisse ausübt, so dient
auch der Bundesrat teils zur Ausübung und Geltendmachung der
Mitgliedschaftsrechte dereinzelnen Bundesstaaten,
teils als ein Organ des Reiches, das leiztere als begriffliche Ein-
heit, als staatliche Person genommen!).
Man hat den Bundesrat mit einem Oberhause oder Staatenhause
verglichen). Der Bundesrat steht aber zu jeder Art von parlamen-
tarischer Körperschaft im schroffen Gegensatz; denn die Mitglieder des
Bundesrates stimmen nicht nach freier, individueller Ueberzeugung,
sondern nach den ihnen erteilten Instruktionen, und sind ihrer
Regierung verantwortlich für ihr Verhalten im Bundesrat. Gleichwohl
ist es nicht ausgeschlossen, daß der Bundesrat tatsächlich im
Reich in einzelnen Richtungen ähnliche Dienste wohl zu leisten ver-
mag, wie sie von einem Oberhause oder Staatenhause geleistet werden
können. Jede Gleichstellung des Bundesrats mit einem Staatenhause
sieht aber gänzlich ab von dem Wesen der Institution, von dem staats-
rechtlichen Charakter derselben, und faßt nur faktische, zufällige Aehn-
lichkeiten ins Auge.
Man hat den Bundesrat und seine Ausschüsse andererseits mit
Ministerien verglichen. Von diesem Vergleiche gilt ganz dasselbe. Der
Bundesrat vermag tatsächlich in vereinzelten Beziehungen ähnliche
Dienste dem Reiche zu leisten, wie sie anderswo wohl von Ministerien
geleistet werden; seinem Begriffe und juristischen Wesen nach steht
er zu einem Ministerium in nicht minder scharfem Kontrast wie zu
einem Parlament; denn er wird nicht von dem obersten Chef der
Regierung, vom Kaiser, ernannt, und seine Aufgabe besteht nicht darin,
die Führung der Regierungsgeschäfte im Namen und Auftrage des
Kaisers zu besorgen, sondern er steht dem Kaiser als ein zweites Or-
1) Da Seydel die bundesstaatliche Natur des Reiches bestreitet, so ist es von
seinem Standpunkte aus ganz konsequent, daß er die „Doppelnatur“ des Bundesrates
verwirft und in ihm lediglich eine Konferenz von Bevollmächtigten der Einzel-
staaten sieht. Vgl. Kommentar (1. Aufl.) S. 97, 105 und in Holtzendorffs Jahrb. III,
S. 276. Andererseits erklärt Gierke in Schmollers Jahrb. VII, S. 50 die Doppel-
natur des Bundesrates für eine „verfehlte Annahme“; der Bundesrat sei „durchaus
nurReichsorgan“; gleichwohl schreibt Gierke dem einzelnen Bundesratsbe-
vollmächtigten eine „Doppelstellung“ zu, „indem er zugleich abhängiges Stimm-
organ seines Staates und selbständiger Organteil des aus solchen Stimmorga-
nen gebildeten kollegialischen Reichsorgans ist“! Preuß S. 389 fg. schließt sich
Gierke an; auch KliemkeS. 26; dagegen findet Brie in Grünhuts Zeitschrift
Bd. 11, S. 140, Note 136 die von mir gemachte Unterscheidung „scharf und
treffend“.
2) Am breitesten führt dies aus Wintera.a.0.S.58ff. Vgl. auch Kliemke
S. 32 fg., der aber dem Worte „Oberhaus“ einen ganz anderen Sinn als den einer
parlamentarischen Körperschaft unterschiebt.