Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 28. Die Staatenrechte im Bundesrate. 237 
gan des Reiches, ebenso wie der Reichstag, in voller Unabhängigkeit 
gegenüber N). 
Man kann den Bundesrat des Deutschen Reiches daher auch nicht 
in Parallele stellen mit dem Schweizerischen Bundesrat, der ein Re- 
gierungskollegium ist, noch mit dem Schweizerischen Ständerat, der ein 
Staatenhaus, eine parlamentarische Körperschaft ist. Bundesverfassung 
vom 29. Mai 1874, Art. 95 fg., Art. 80 fg. 
Der Bundesrat ist weder eine »gesetzgebende Versammlung« in 
dem üblichen Sinne einer Volksvertretung, eines Oberhauses?), noch 
eine »Reichsbehörde« im Sinne des Beamtengesetzes, des Strafgesetz- 
buchs und anderer Reichsgesetze; insbesondere keine »oberste Reichs- 
behörde« ?). 
Will man Vergleichungen zum besseren Verständnis der Natur des 
Bundesrates verwerten, so bietet sich hierzu der Reichstag des alten 
Deutschen Reiches dar. Freilich tatsächlich kann die Verschieden- 
heit zwischen beiden Körperschaften größer kaum gedacht werden, 
als sie wirklich ist; in seinem juristischen Wesen aber entsprach der 
alte Reichstag dem jetzigen Bundesrat, denn er war einerseits ein 
Willensorgan des Reiches, als des souveränen deutschen Staates, und 
andererseits kamen in ihm und durch ihn die individuellen Mitglied- 
schaftsrechte der Glieder des Reiches, der Stände, zur Geltung und 
Ausübung. 
In dem Bundesrat sind diese beiden hervorgehobenen Funktionen 
miteinander zwar in enge Verbindung und Wechselwirkung gesetzt; 
für die theoretische Erkenntnis seines juristischen Wesens aber ist ihre 
begriffliche Unterscheidung geboten. 
8 28. Die Staatenrechte im Bundesrate. 
I. »Innerhalb des Bundesrates findet die Souveränität einer jeden 
Regierung ihren unbestrittenen Ausdruck«, sagte Fürst Bismarck in 
dem zur Beratung der Nordd. Bundesverfassung einberufenen Reichs- 
1) Rümelin, Zeitschrift für Staatswissenschaft, Bd. 40, S. 645 meint, ich hätte 
hierbei „den entscheidenden Punkt verkannt“. Der Kaiser sei nämlich nicht der 
oberste Chef der Reichsregierung, da die Souveränität der Gesamtheit der Landes- 
regierungen zustehe; der Bundesrat habe im Namen dieser Gesamtheit „die Funk- 
tionen eines Gesamtministeriums“ auszuüben. Dies ist vollkommen falsch und unklar 
gedacht. Die Bundesfürsten als solche sind an der Regierung des Reiches unbetei- 
ligt; dieselbe wird vom Kaiser allein — wenngleich im Namen der verbündeten 
Regierungen — geleitet; einen Reichsminister kann demnach nur der Kaiser 
haben, nicht „die Gesamtheit der Landesregierungen“ und dieser Minister des Kai- 
sers ist der Reichskanzler, nicht der Bundesrat. Noch weiter als Rümelin geht 
KliemkeS.48ff., wenn er den Bundesrat den obersten „Chef der Regierung“ und 
den Kaiser seinen Minister (!) nennt; hier liegt der Unsinn klar zu Tage. 
2) Binding, Lehrb. des Strafr. Bes. Teil II, 2 S. 818, Note 1. 
3) Entsch. des Reichsger. in Strafsachen Bd. 7, S. 382. Mit Unrecht be- 
zeichnet ihn Zorn, Staatsr. I, S. 153 als das „Regierungskollegium des Reichs“.
	        
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