8 28. Die Staatenrechte im Bundesrate. 239
der preußischen oder einer andern Landesregierung entstanden sind,
sondern welche der Reichskanzler als Minister des Kaisers in Vorschlag
bringt. Sie werden als Präsidialanträge, im Gegensatz zu den
spezifisch preußischen Anträgen bezeichnet. Dadurch hat der Kaiser
das für das Oberhaupt eines Staatswesens unentbehrliche und für die
Richtung der Politik entscheidende Recht der Initiative hinsichtlich
der Reichsgesetzgebung und aller anderen wichtigen Maßregeln erlangt.
Nach dem formellen Verfassungsrecht sind allerdings alle Präsidial-
anträge preußische Anträge und werden im Bundesrat als solche be-
handelt!. Wegen der Personenidentität des Kaisers und Königs ist
für das Reichsrecht die Frage, ob dem Bundesrat Vorlagen im Namen
des Kaisers und auf Grund einer kaiserlichen Ermächtigung ge-
macht werden können, ohne Belang; der Schwerpunkt der Frage liegt
ausschließlich in dem Anteil, den das preußische Staatsmini-
sterium an der Beschlußfassung über solche Vorlagen, an der
Instruktion der preußischen Bundesratsbevollmächtigten, an der Gegen-
zeichnung der königlichen Ermächtigung zur Einbringung der Vorlage
beanspruchen kann. Dies beantwortet sich nach den oben S. 98 fg.
dargelegten Grundsätzen ?).
2. Elsaß-Lothringen hat keine Stimme im Bundesrate und
kann keine haben. Es beruht dies nicht auf den praktischen Schwierig-
keiten, wie die Vertreter von Elsaß-Lothringen ernannt und mit In-
struktionen versehen werden sollen, sondern auf dem prinzipiellen
Grunde, daß Elsaß-Lothringen nicht Mitglied des Reiches, sondern
Reichsland ist?). Durch das Reichsgesetz vom 4. Juli 1879, S 7 (Reichs-
gesetzbl. S. 166) ist jedoch der Statthalter ermächtigt, »zur Vertretung
der Vorlagen aus dem Bereiche der Landesgesetzgebung, sowie der
Interessen Elsaß-Lothringens bei Gegenständen der Reichsgesetzgebung«
1) Vgl. die Ausführungen Bismarcks in den Hamburger Nachrichten vom
10. Oktober 1892 (Nr. 241); Bornhak im Archiv für öffentl. Recht Bd. 8, S. 455 ff. ;
R. Fischer, Das Recht des deutschen Kaisers S. 148 ff.; Meine Erörterung im
Jahrb. des öff. R. I, S.15 ff. Gegen die Annahme eines die RV. abändernden Ge-
wohnheitsrechts vgl. die sehr gute Erörterung von Graßmann im Archiv für öff.
Recht Bd. 11, S. 388 ff.
2) Zwischen Preußen und allen übrigen Bundesstaaten besteht aber in Einer
Beziehung ein erheblicher Unterschied. Die preußischen Bevollmächtigten können
im Bundesrat nicht gegen einen Antrag stimmen, den der Reichskanzler auf Befehl
des Kaisers im Bundesrate einbringt und der staatsrechtlich als ein preußischer
Antrag anzusehen ist, während dies den Bevollmächtigten aller anderen Bundesstaa-
ten unbedenklich zusteht. Daraus ergibt sich, daß das preußische Ministerium vor
der Einbringung eines Präsidialantrages über denselben befragt werden muß, wäh-
rend die Regierungen der anderen Bundesstaaten sich nach Einbringung der Prä-
sidialvorlage über dieselbe schlüssig machen können. Es ist dies eines der Bänder,
durch welche die Reichsregierung mit der preußischen verknüpft ist. Darauf beruht
die im Verfassungsbau des Reichs gegebene Notwendigkeit, daß der Reichskanzler
dem preußischen Staatsministerium angehört, was auch Bismarck oftmals erklärt hat.
Vgl. Graßmann S. 315, 327, 332, 335.
3) Trotzdem werden jetzt Bundesratsstimmen für Els.-Lothr. nachdrücklich verlangt.