Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 28. Die Staatenrechte im Bundesrate. 243 
Beide Ausdrücke bedeuten dasselbe; sie beziehen sich auf den Gegen- 
satz zu den an Aufträge und Instruktionen nicht gebundenen Reichs- 
tagsabgeordneten!). In der Abstimmung des Bevollmächtigten kommt 
nicht sein subjektiver Wille, auch nicht die persönliche Ansicht sei- 
nes Landesherrn, sondern der staatliche Wille des Bundesglieds 
zum Ausdrucke ’?). 
Hieraus ergeben sich folgende Sätze: 
a) Da nicht die einzelnen Bevollmächtigten als Individuen, son- 
dern die Staaten im Bundesrate Stimmen haben, so kann jedes 
Mitglied des Reiches, welches mehrere Stimmen im Bundesrat führt, 
die Gesamtheit der zuständigen Stimmen nur einheitlich abgeben. Es 
ist dies im Art. 6 der Reichsverfassung besonders ausgesprochen, ver- 
steht sich aber von selbst, da es vernunftwidrig ist, daß ein Staat 
gleichzeitig zwei oder mehr sich widersprechende Willen habe. 
b) Die Anzahl der Stimmen, welche ein Staat im Bundesrat führt, 
ist ganz unabhängig von der Anzahl der Bevollmächtigten, welche als 
seine Vertreter an der Bundesratssitzung teilnehmen. Nach Ausweis 
der Protokolle des Bundesrates ist die Anzahl der Personen, welche 
an den Sitzungen teilnehmen, sehr viel geringer als die Anzahl der 
Stimmen, welche im Bundesrat geführt werden; indem von den grö- 
ßeren Staaten in der Regel nur ein oder zwei Bevollmächtigte anwe- 
send sind und die kleineren sehr häufig durch einen, mit Substitutions- 
vollmacht versehenen Vertreter eines anderen Bundesgliedes ihre 
Stimmen abgeben. Für die Beratung ist dies unter Umständen von 
Belang, für die Abstimmung ist es völlig unerheblich ®); denn nicht die 
Bevollmächtigten, sondern die Staaten stimmen ab. 
1) Der Versuch von Kliemke S. 17, einen Unterschied zwischen Vertreter und 
Bevollmächtigtem auszuklügeln, ist m. E. verfehlt. 
2) Fürst Bismarck charakterisierte in seiner berühmten Rede im Reichstage 
vom 19. April 1871 die Stimmen im Bundesrate in folgender Art: „Nach der Erfurter 
Verfassung stimmte im Staatenhause nicht der Staat, sondern das Individuum; es war 
jemand ernannt worden (ich weiß nicht, ob auf Lebenszeit oder limitiert), aber er 
stimmte nicht nach Instruktionen, sondern nach seiner Ueberzeugung. So leicht wie- 
gen die Stimmen im Bundesrate nicht; da stimmt nicht der Freiherr v. Friesen, son- 
dern das Königreich Sachsen stimmt durch ihn, nach seiner Instruktion gibt er ein 
Votum ab, was sorgfältig destilliert ist aus all den Kräften, die zum öffentlichen Le- 
ben in Sachsen mitwirken. In dem Votum ist die Diagonale aller der Kräfte, die in 
Sachsen tätig sind, um das Staatswesen zu bilden. — — — Analog ist es in den 
Hansestädten, in den republikanischen Gliedern; es ist das ganze Gewicht einer rei- 
chen, großen, mächtigen, intelligenten Handelsstadt, was sich Ihnen in dem Votum 
der Stadt Hamburg im Bundesrat darstellt, und richt das Votum eines Hamburgers, 
der nach seiner persönlichen Ueberzeugung so oder so votieren kann. Die Vota im 
Bundesrat nehmen für sich die Achtung in Anspruch, die man dem gesamten Staats- 
wesen eines der Bundesglieder schuldig ist.“ 
3) Nehmen mehrere Vertreter desselben Staates an der Bundesratssitzung teil, 
So ist einer von ihnen mit der Stimmführung betraut; führt ein Mitglied des Bundes- 
rates die Stimmen mehrerer Staaten, so gibt es das Votum jedes Staates beson- 
ders ab.
	        
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