8 29. Der Bundesrat als Organ des Reiches. 259
tatsächlich bestehenden Lebensverhältnisse nicht paßt, so kann nicht
anders abgeholfen werden als durch eine Abänderung des Gesetzes, zu
welcher die Genehmigung des Reichstages erforderlich ist. Inhalt des
Bundesratsbeschlusses ist demnach in diesem Falle eine dem Reichstage
zu machende Vorlage, und ein solcher Beschluß fällt mithin unter die
erste Kategorie des Art. 7.
Wenn die Mängel aber hervorgerufen werden durch die zur Aus-
führung des Gesetzes erlassenen Verordnungen oder durch das Fehlen
derselben, beziehentlich durch ihre Unvollständigkeit oder Undeutlich-
keit, so kann der Bundesrat Verwaltungsverordnungen beschließen
oder sie ändern, ergänzen, verbessern. Ein derartiger Beschluß fällt
unter die zweite Kategorie des Art. 7.
Soll die unter Ziff. 3 aufgeführte Kategorie nicht völlig überflüssig
und nichtssagend sein, so müssen dem Bundesrate noch weitergehende
Befugnisse zustehen, als die durch Ziff. 1 und Ziff. 2 bereits gegebenen;
er muß aus Anlaß von Mängeln noch andere Beschlüsse zu fassen
berechtigt sein, als Gesetzesvorlagen und Ausführungsverordnungen.
Von welcher Art diese Beschlüsse sein können, ergibt sich nicht
aus dem Wortlaut des Art. 7, wohl aber aus seiner Entstehungsgeschichte.
In der Verfassung des Norddeutschen Bundes fehlte ein entspre-
chender Artikel. Dagegen gewährte die Verfassung dem Bundesrat in
Beziehung auf Zölle und Verbrauchssteuern eine eigentümliche Stellung
im Verwaltungsorganismus, welche sich historisch erklärt.
In dem alten Zollverein waren alle dabei beteiligten Staaten von-
einander unabhängig und souverän, und es verstand sich daher von
selbst, daß die Erhebung und Verwaltung der Zölle und Abgaben ihnen
zustand. Bei dem Interesse, welches jeder einzelne Staat daran hatte,
daß diese Verwaltung überall den Zollvereinsverträgen entsprechend
und übereinstimmend geführt wurde, traf man die Einrichtung, die
Zoll- und Steuerbehörden der Vereinsstaaten durch Bevollmächtigte
kontrollieren zu lassen. Wurden von den Bevollmächtigten Anzeigen
erstattet über unrichtige Anwendung oder über Mängel, welche bei
der Ausführung der Zollvereinsverträge hervortraten, so wurde die
Angelegenheit, falls sie nicht durch eine Entscheidung der Zentral-
behörde des betreffenden Staates erledigt wurde, auf den Zollvereins-
konferenzen erörtert und eine gleichmäßige Handhabung des Tarifs
oder eine übereinstimmende Einrichtung vereinbart. Ein solcher
Beschluß der Zollvereinskonferenz hatte, gerade wie ein Beschluß des
Frankfurter Bundestages, den Charakter einer völkerrechtlichen Ver-
tragsschließung. Da sich aus der Natur des Zollvereins das Erfordernis
der Einstimmigkeit für die Beschlüsse der Zollkonferenz ergab, so war
eine präzise Abgrenzung ihrer Kompetenz kein Bedürfnis. Man begnügte
sich daher, der Versammlung der Konferenzbevollmächtigten zuzu-
weisen: »Die Verhandlung über alle Beschwerden und Mängel,