Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

262 8 29. Der Bundesrat als Organ des Reiches. 
d. h. dieselbe Abgrenzung der Kompetenz, welche für Zoll- und Steuer- 
sachen in Art. 36 erfolgt ist, ist durch Art. 7, Ziff. 3 und 17 auf alle 
der Reichsgesetzgebung unterliegenden Gegenstände ausgedehnt worden!). 
Dem Kaiser liegt es daher ob, die zur Kontrolle der Einzelstaaten 
etwa erforderlichen und durch Reichsgesetze vorgesehenen Beamten 
zu ernennen; namentlich aber gehen vom Kaiser, d.h. von dem von 
ihm ernannten Reichskanzler oder den Ressortbehörden des Reiches, 
die Verfügungen aus, welche zur Durchführung der vom Bundes- 
rate getroffenen Entscheidungen erforderlich sind. Der Bundesrat 
dagegen fällt die materielle Entscheidung über die Auslegung oder 
Handhabung der Reichsgesetze oder über eine allgemeine Einrichtung 
behufs Abhilfe der Mängel, welche bei der Ausführung der Reichs- 
gesetze hervorgetreten sind ’?). 
Es steht diese, dem Bundesrate zugewiesene Kompetenz im engsten 
Zusammenhange mit dem ihm zustehenden Verordnungrecht, und die 
Beschlußfassung über Mängel, d. h. über die richtige Handhabung der 
Reichsgesetze, und über Abhilfe der hervorgetretenen Uebelstände fließt 
in unmerklichen Abstufungen und Uebergängen an der einen Grenz- 
linie mit dem Beschluß allgemeiner Verwaltungsverordnungen, an der 
anderen mit der Fällungeines verwaltungsgerichtlichen Urteils zusammen. 
Daraus ergeben sich aber auch zugleich die Schranken, welche 
der durch Art. 7, Ziff. 3 begründeten Kompetenz des Bundesrates 
gesetzt sind. Dem Bundesrat steht keine Entscheidung zu in allen 
denjenigen Angelegenheiten, die durch Reichsgesetz einer Reichs- 
behörde überwiesen sind. Dazu gehören vor allem die eigentlichen 
Rechtsstreitigkeiten, welche eine richterliche Entscheidung erfordern, 
also insbesondere die der Kompetenz des Reichsgerichts, des Reichs- 
militärgerichts, des Heimatsamts, des Reichseisenbahnamts nach S 5, 
Ziff. 4 des Gesetzes vom 27. Juni 1873, des Versicherungsamts u. s. w. 
unterliegenden Streitfälle.. Ebenso aber auch diejenigen Angelegenhei- 
ten, deren Erledigung zum Ressort der Reichsverwaltungsämter gehört. 
Es ist ferner die durch Art. 7, Ziff. 3 für den Bundesrat begründete 
1) Im wesentlichen besteht dasselbe Verhältnis auch zwischen Art. 7, Ziff. 1 und 
Art. 16. Der Bundesrat beschließt, welche Vorlagen dem Reichstage zu machen sind; 
der Kaiser läßt dieselben nach Maßgabe der Beschlüsse des Bundesrates an den Reichs- 
tag bringen. 
2) Sehr richtig äußerte sich der Abgeordnete Lasker im Reichstag 1870. II. auß. 
Sess. Stenogr. Ber. S. 122: „Den zweiten Teil, welcher die Abhilfe der Mängel dem 
Bundesrat überweist, verstehe ich dahin, daß die tatsächliche Exekution allein durch 
das Bundeskanzleramt vermittelt wird, daß der Bundesrat irgend welche Mängel als 
vorhanden konstatiert und Abhilfe beschließt, und daß diese dann durch die Beamten 
des Bundeskanzlers oder durch das Bundeskanzleramt unter der Leitung des Bundes- 
kanzlers erfolgen muß. Ich glaube die Bestimmungen der Verfassung nicht mißzu- 
verstehen und in dieser Einschränkung begrüße ich sie als eine vorteilhafte Organi- 
sation.“ Westerkamp S. 157 findet das Verhältnis des Bundesrates und des Kai- 
sers „nicht völlig Klar“; freilich, wenn seine Darstellung desselben richtig wäre, so 
wäre es völlig unklar.
	        
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