8 29. Der Bundesrat als Organ des Reiches. 263
Kompetenz ausgeschlossen, soweit die Reichsverfassung selbst eine
Ausnahme macht, was namentlich durch Art. 63, Abs. 3 hinsichtlich
der Militärangelegenheiten zugunsten des Kaisers geschehen ist. An-
dererseits findet die Kompetenz des Bundesrates eine Schranke an dem
Selbstverwaltungsrecht der Einzelstaaten. Siehe oben S. 258. |
3. Ein ähnliches Verhältnis zwischen Bundesrat und Kaiser, wie
es durch Art. 7, Abs. 3 und Art. 17 und durch Art. 36, Abs. 2 und
Art. 36, Abs. 3 normiert ist, besteht auch hinsichtlich der Ernen-
nunggewisser Reichsbeamten. Die Ernennung selbst erfolgt
in allen Fällen vom Kaiser (Reichsverfassung Art. 18); formell kann
der Bundesrat niemals einen Beamten anstellen. Aber materiell steht
ihm für gewisse Beamtenkategorien eine Entscheidung zu, indem er
entweder die Beamten geradezu wählt, so daß der Kaiser auf die bloße
Form der Ernennung der vom Bundesrat gewählten Individuen be-
schränkt ist, oder indem der Kaiser die Beamten nach » Vernehmung«
des Bundesrates oder eines Ausschusses desselben anstellt. Das
letztere ist vorgeschrieben im Art. 36 der Reichsverfassung, wonach
der Kaiser die zur Kontrolle der Zoll- und Steuerbehörden bestimmten
Reichsbeamten nach Vernehmung des Ausschusses des Bundesrates
für Zoll- und Steuerwesen den Landesbehörden beiordnet, und im
Art. 56, welcher bestimmt, daß der Kaiser die Konsuln nach Ver-
nehmung des Ausschusses für Handel und Verkehr anstellt.
Ein Vorschlagsrecht hat der Bundesrat hinsichtlich der Mitglieder
des Rechnungshofes?), des Reichsgerichts?), sowie des Oberreichsan-
walts und der Reichsanwälte*),, des Bundesamtes für das Heimats-
wesen’), der Disziplinarkammern und des Disziplinarhofes), der Ver-
waltung des Reichsinvalidenfonds ?),, des Reichsbankdirektoriums?), des
1) Die von Seydel, Jahrbuch S. 292, gezogene Konsequenz, daß „eine Ernen-
nung rechtlich nicht vorliegt“ (soll wohl bedeuten: ohne rechtliche Wirk-
samkeit ist), wenn der Kaiser dieselbe vollzogen hat, ohne daß die betreffende Per-
sönlichkeit vom Bundesrat gewählt oder in Vorschlag gebracht worden ist u. s. w.,
halte ich nicht für richtig. Die Ernennung der Reichsbeamten erfolgt seitens des
Kaisers kraft seiner Vertretungsbefugnis, auf Grund der Legitimation zur Vornahme
dieser Rechtsgeschäfte, welche ihm im Art. 18, Abs. 1 der Reichsverfassung ohne
Beschränkung erteilt ist. Wenn er hiervon einen Gebrauch machen sollte, durch
welchen er die Rechte des Bundesrates verletzt, so würde die Verantwortung dafür
den Reichskanzler treffen, der die Ernennungsurkunde kontrasigniert hat; der formell
ordnungsmäßig vollzogene Rechtsakt aber würde an seiner Rechtswirksamkeit nichts
einbüßen.
2) Gesetz vom 4. Juli 1868, $ 2 (Bundesgesetzbl. S. 433).
3) Gerichtsverfassungsgesetz $ 127. Vgl. hinsichtlich des ehemaligen Oberhan-
delsgerichts Gesetz vom 12. Juni 1869, $ 3 (Bundesgesetzbl. S. 201).
4) Gerichtsverfassungsgesetz & 150.
5) Gesetz vom 6. Juni 1870, $ 42 (Bundesgesetzbl. S. 368).
6) Gesetz vom 31. März 1873, 8 39 (Reichsgesetzbl. S. 68).
7) Gesetz vom 23. Mai 1873, $ 11 (Reichsgesetzbl. S. 120).
8) Bankgesetz vom 14. März 1875, $ 27, Abs. 3 (Reichsgesetzbl. S. 184).