Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 29. Der Bundesrat als Organ des Reiches. 275 
eine Entscheidung über das Thronfolgerecht in sich schließen !). Diese 
Entscheidung trifft aber nur ein einzelnes, in der Staatsgewalt ent- 
haltenes Recht, die Stimmführung im Bundesrat. Der von dem Bun- 
desrat zurückgewiesene Prätendent könnte sich trotzdem im Besitz des 
Thrones behaupten und falls keiner der mehreren Prätendenten einen 
Bevollmächtigten zum Bundesrat entsendet, käme der Bundesrat gar 
nicht in die Lage, in der Form der Legitimationsprüfung den Thron- 
folgestreit zu entscheiden ?). 
Allein auch ohne daß Art. 76 der Reichsverfassung anwendbar ist, 
ergibt sich die Zuständigkeit des Bundesrates zur Entscheidung von 
Thronstreitigkeiten aus dem bundesstaatlichen Verhältnis selbst. Jeder 
zum Bunde gehörende Staat muß ein Oberhaupt haben, welches die 
aus der Zugehörigkeit zum Reich erwachsenden Pflichten erfüllt und 
die entsprechenden Rechte ausübt. Das Reich ist bei einem Streit um 
einen deutschen Thron kein unbeteiligter Zuschauer, sondern un- 
mittelbar mitbeteiligt. Niemand kann in einem deutschen Staate 
Landesherr sein, der nicht als Mitglied des Bundes anerkannt ist. 
Diese Anerkennung kann nur die Gesamtheit der Staaten erteilen oder 
versagen; denn sie kann nur einheitlich erteilt werden. Es ist 
unmöglich, daß für eine Gruppe von Staaten der eine, für eine andere 
Gruppe der andere als der legitime Landesherr eines Bundesstaates 
gilt. Das Organ aber, durch welches die Gesamtheit der deutschen 
Staaten eine einheitliche und gesamtverbindliche Entscheidung abgeben 
kann, ist der Bundesrat. Die Zuständigkeit des Reiches ergibt sich 
ferner daraus, daß unter den Gliedern desselben jede gewaltsame Selbst- 
hilfe, namentlich jeder Krieg ausgeschlossen ist, daß vielmehr der Bund 
errichtet worden ist, »zum Schutze des Bundesgebiets und des innerhalb 
desselben gültigen Rechts«. Thronprätendenten können daher Schutz 
und Verwirklichung ihres Rechtes nur beim Reiche finden und dies 
setzt, wenn die Thronfolge unter mehreren Prätendenten streitig ist, 
eine Prüfung und Entscheidung voraus, wer der berechtigte Prätendent 
ist. Alle Funktionen des Reiches aber, für welche nicht ein anderes 
Organ durch die Verfassung oder Reichsgesetzgebung für zuständig 
erklärt worden ist, hat der Bundesrat kraft seiner allgemeinen 
und subsidiären Zuständigkeit auszuüben ?). 
1) Die von Seydel, Kommentar S. 409 hiergegen erhobenen Einwendungen 
sind bereits von KekuleS. 9 ff. in so zutreffender Weise widerlegt worden, daß 
ich es für unnötig halte, darauf nochmals näher einzugehen. 
2) In ähnlicher Art wie der Bundesrat über die Zulassung eines Bevollmächtigten 
zu entscheiden hat, steht dem Kaiser die Prüfung und Entscheidung zu, welchem 
von mehreren Prätendenten die in der Reichsverf. und den Militärkonventionen näher 
bestimmten kontingentsherrlichen Rechte und militär. Ehrenrechte gebühren und von 
den Befehlshabern der Truppen zu erweisen sind. Die praktische Bedeutung einer 
solchen kaiserl. Entscheidung ist nicht zu verkennen, aber auch sie betrifft nur einen 
Teil der in der Landesherrlichkeit enthaltenen Rechte. 
3) Ein Reichsgesetz ist zur Erledigung des Streites daher nicht erforder-
	        
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