Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 33. Die Zuständigkeit des Reichstages. 301 
Handlungen dessenungeachtet vorgenommen, so sind sie keineswegs 
nichtig. Wären sie es, so könnten sie auch durch nachträgliche Ge- 
nehmigung des Reichstages nicht wirksam werden; so wenig wie ein 
»Gesetz«, das etwa nach seiner eigenen Angabe ohne Zustimmung des 
Reichstages erlassen wäre, dadurch gültig werden könnte, daß der 
Reichstag nachträglich durch eine Resolution sich mit ihm einver- 
standen erklärt. Vielmehr bedürfen diese Handlungen zu ihrer formellen 
Rechtsbeständigkeit nicht der Zustimmung des Reichstages. In sehr 
zahlreichen Fällen kann die Zustimmung des Reichstages gar nicht der 
Regierungshandlung vorausgehen, sondern nur ihr nachfolgen. 
Die staatsrechtliche Bedeutung der Vorschrift, daß zu einer Hand- 
lung der Regierung die Genehmigung des Reichstages erforderlich ist, 
kann nach Lage des Falles sehr verschieden sein. Es kommt dabei 
im wesentlichen auf den Inhalt der Verfügung an, namentlich aber 
darauf, ob die Zustimmung des Reichstages im voraus erteilt war oder 
nachträglich einzuholen ist. War dieselbe schon vorher erteilt, so wird 
die Regierungshandlung unbedingt und definitiv wirksam. Wenn die 
Genehmigung des Reichstages nachträglich noch einzuholen ist, so 
erfolgt die Regierungshandlung unter dem ausdrücklichen oder still- 
schweigenden Vorbehalt dieser Genehmigung. Wird dieselbe erteilt, 
so erledigt sich dieser Vorbehalt — und die Regierungshandlung wird 
in derselben Art wirksam, als wäre sie unbedingt vorgenommen worden. 
Wenn dagegen die Genehmigung versagt wird, so ist die Bedingung 
nicht eingetreten, und die von der Regierung unter dieser Bedingung 
abgegebenen Willenserklärungen erlangen entweder keine Wirksamkeit 
oder verlieren, wenn sie interimistisch wirksam waren, durch die Ver- 
sagung der Genehmigung (also ex nunc) ihre Wirksamkeit!). In beiden 
Fällen aber, mag die Zustimmung des Reichstages vorausgehen oder 
nachfolgen, steht diese selbständig und unabhängig neben der Willens- 
erklärung der Regierung; sie bildet nicht, wie bei dem Gesetz, einen 
integrierenden Bestandteil des staatlichen Willensaktes, sondern eine 
Willenserklärung für sich. Bei dem Gesetze erklärt der Staat seinen 
Willen in einer Form, welche die Willenserklärungen seiner Organe 
miteinander verschmilzt; im Falle der Genehmigung einer Regierungs- 
handlung durch den Reichstag werden die Willenserklärungen der 
Organe formell getrennt erhalten. Dadurch wird der praktische Zweck 
erreicht, daß Dritten gegenüber das Reich seinen Willen durch seine 
1) Man nennt sehr häufig, auch in Gesetzen, die vorhergehende Zustimmung 
„Ermächtigung“, die nachfolgende „Ratihabition“. Die Analogie mit dem Mandat und 
der Ratihabition des Zivilrechts liegt auch ziemlich nahe; dennoch muß man sich 
hüten, diese Begriffe des Zivilrechts hier einzumengen. Die Regierung handelt nie- 
mals als Mandatar oder negotiorum gestor des Reichstages, sondern nur für das Reich. 
Die Regierung und der Reichstag sind nicht zwei einander selbständig gegenüber- 
stehende Rechtssubjekte wie Mandatar und Mandant, oder wie Geschäftsführer und 
Prinzipal, sondern sie sind zwei Organe derselben einheitlichen und unteilbaren ju- 
ristischen Person, des Reiches.
	        
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