8 34. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. 309
Reichstages unter Umständen sein kann, eine staatsrechtliche kommt
ihr niemals zu'). Jede Versammlung, welcher nicht durch positive
Rechtsvorschrift die Erörterung politischer Angelegenheiten untersagt
ist, kann ebenso gut wie der Reichstag Adressen an den Kaiser ver-
fassen. Einestaatsrechtliche Funktion wird durch den Erlaß
einer Adresse nicht ausgeübt?), und daran ändert auch der Umstand
nichts, daß die Geschäftsordnung 8 67, 68 die geschäftliche Behandlung
eines Antrages auf Erlaß einer Adresse geregelt hat.
8 34. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht.
»Der Reichstag gehtausallgemeinenund direkten
Wahlen mit geheimer Abstimmung hervor. Reichs-
verfassung Art. 20, Abs. 1.
In diesem Verfassungssatz sind die wichtigsten Grundprinzipien
für die Zusammensetzung des Reichstages enthalten. Die näheren
Anordnungen sind durch das Wahlgesetz vom 31. Mai 1869
(Bundesgesetzbl. S. 145) gegeben ?).. Dasselbe ist infolge der Bündnis-
verträge mit den süddeutschen Staaten in den Gebieten derselben als
Reichsgesetz eingeführt‘) und durch den Abs. 2 des Art.20 der Reichs-
für sich das Recht, Adressen an den König zu richten. Diesem Recht entspricht
dann allerdings die Pflicht des Königs, Adressen eines der beiden Häuser ent-
gegenzunehmen. Stoerk, Method. S. 64, Note 24 bezweifelt das Bestehen dieser
Pflicht; sie ist aber das logische Korrelat des im Art. 81 ausdrücklich anerkannten
„Rechts“ der Kammern, nicht bloß Adressen zu beschließen, sondern sie „an den
König zu richten“.
1) Deshalb ist auch nicht einzusehen, warum es dem Reichstage nicht gestattet
sei, an den Bundesrat Adressen zu erlassen, wieSeydel, Kommentar (1. Aufl.) S. 151,
152 und v. Rönne a. a.O. meinen. Vgl. auch v. Held S.125 und Wagner a.2.0.
Es ist dies nur nicht üblich. In den Annalen 1880, S. 432 hat Seydel sich der hier
vertretenen Ansicht angeschlossen; ebenso G. Meyer, Staatsrecht 8 128, Note 6 u.
Anschütz, Enzykl. S. 553.
2) Mit demselben Grunde könnte man von einem Rechte des Reichstages reden,
ein Hoch auf den Kaiser auszubringen oder ihm zum Geburtstage Glückwünsche aus-
zudrücken, oder dem Reichstagspräsidenten für die Leitung der Geschäfte zu danken
u. S. w.
3) Dieses Gesetz beruht im wesentlichen auf dem Reichswahlgesetz vom 12. April
1849, welches in dem Bündnis vom 18. August 1866 als Grundlage für die Wahlen
zum verfassunggebenden Reichstage vereinbart war. Auf demselben beruhen zunächst
die Wahlgesetze der Staaten, welche sich zur Gründung des Norddeutschen Bundes
vereinigt hatten. Siehe oben S. 18. Der Art. 20 der Verfassung des Norddeutschen
Bundes erhielt diese verschiedenen Gesetze in Geltung bis zum Erlaß eines Reichs-
gesetzes, welches nunmehr an die Stelle derselben getreten ist. Vgl. v. Tzschoppe,
Geschichte des deutschen Reichstagswahlrechts, Leipzig 1890, die gründliche und in-
teressante Monographie von F.Frensdorff, Die Aufnahme des allgemeinen Wahl-
rechts in das öffentliche Recht Deutschlands, Leipzig 1892, sowie G. Meyer, Ent-
stehung und Ausbildung des allgem. Stimmrechts, Heidelberger Prorektoratsrede 1897,
und namentlich desselben hinterlassene Schrift „Das parlamentarische Wahlrecht“.
Berlin 1901.
4) Mit Baden und Hessen vereinbarte Verfassung Art. 80, I, Nr. 13. Württemb.