Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

$ 34. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. 311 
das Reichsrecht nicht. Jedoch fällt in gewissen Fällen die Ausübung 
des Wahlrechts fort, teils in der Art, daß die Berechtigung zum wählen 
ruht, d. h. quoad jus fortdauert, teils in der Art, daß sie zeitweilig 
ganz aufgehoben (suspendiert) ist. 
1. Die Berechtigung zum Wählen ist quoad jus vorhanden, ihre 
Ausübung aber ruht: 
a) für Personen des Soldatenstandes des Heeres und der Marine 
so lange, als dieselben sich bei der Fahne befinden'!). Unter den Per- 
sonen des Soldatenstandes sind zu verstehen »die zum aktiven Heere 
gehörigen Militärpersonen, mit Ausnahme der Militärbeamten« °); 
b) für Personen, welche sich zur Zeit der Wahl nicht in einem 
Wahlbezirk aufhalten, in welchem sie ihren Wohnsitz haben. Nur 
wenn eine Gemeinde in mehrere Wahlbezirke geteilt ist, genügt es, 
wenn der Wähler in einem derselben zur Zeit der Wahl seinen Woöhn- 
sitz hat?). Eine bestimmte Dauer des Wohnsitzes wird nicht erfordert; 
andererseits genügt ein nur vorübergehender Aufenthalt nicht, um die 
Ausübung des Wahlrechts zu begründen ®); 
c) für Personen, welche nicht in die Wahllisten aufgenummen sind >). 
2. Von der Berechtigung zum Wählen sind nicht bloß quoad 
exercitium, sondern quoad jus ausgeschlossen folgende vier Kategorien ®). 
a) »Personen, welche unter Vormundschaft oder Kuratel stehen«, 
also, da Minderjährige ohnehin nicht wahlberechtigt sind, die im $ 6 
des Bürgerlichen Gesetzbuches aufgeführten Personen, sobald ihre Ent- 
mündigung erfolgt ist. Es sind dies Geisteskranke und Geistesschwache, 
welche infolge dieses Zustandes ihre Angelegenheiten nicht besorgen 
können, ferner gerichtlich erklärte Verschwender und Trunksüchtige °). 
1) Wahlgesetz 8 2. 
2) Militärgesetz vom 2. Mai 1874, 8 49. Welche Personen zum aktiven Heere 
gehören, definiert dasselbe Gesetz im $ 38. 
3) Wahlgesetz $ 7. „Wer das Wahlrecht in einem Wahlbezirke ausüben will, 
muß in demselben, oder, im Falle eine Gemeinde in mehrere Wahlbezirke geteilt ist, 
in einem derselben zur Zeit der Wahl seinen Wohnsitz haben. — Jeder darf nur an 
einem Orte wählen.“ Wahlbezirk ist nicht identisch mit Wahlkreis, sondern mit Ab- 
stimmungsbezirk. Siehe unten S: 319. 
4) Ein Wohnsitz im Sinne des Zivilrechts wird nicht erfordert; es genügt ein 
Verweilen „an einem Orte unter Verhältnissen, welche ihrer Natur nach auf einen 
Aufenthalt von längerer Dauer hinweisen, insbesondere als Dienstboten, Hand- und 
Fabrikarbeiter, Gewerbegehilfen, Studierende“, wie die Zivilprozeßordnung 8 20 sich 
ausdrückt. Vgl. Kommissionsber. des Reichstags 1879. Drucks. Nr. 166, S. 1347. Sey- 
del S. 362, Anm. 4. 
5) Wahlgesetz $ 8, Abs. 2. „Nur diejenigen sind zur Teilnahme an der Wahl 
berechtigt, welche in die Liste aufgenommen sind.“ Vgl. unten S. 321. 
6) Wahlgesetz $ 3. 
7) Personen, welche nach $ 1910 des Bürgerlichen Gesetzbuches einen Pfleger 
erhalten haben, sind von der Ausübung des Wahlrechts nicht ausgeschlossen. Die 
Pflegschaft des Bürgerlichen Gesetzbuches entspricht nicht der Kuratel der früheren 
Partikularrechte, welche diesen Ausdruck namentlich auch für die Bevormundung der 
gerichtlich erklärten Verschwender und Geisteskranken verwendeten. Von der Teil-
	        
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