Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 34. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. 319 
tagswahlkreise durch Feststellung der süddeutschen ergänzt und dies 
im Reichsgesetzbl. 1871, S. 35 fg. verkündigt. Die Zuständigkeit des 
Bundesrates zu diesem Beschluß gründet sich auf 8 15 des Wahlgesetzes. 
In Bayern war aber durch den Vertrag vom 23. November 1870, III, 
8 2 die Abgrenzung der Wahlkreise der Landesregierung überlassen, 
so daß das Nachtragsverzeichnis vom 27. Februar 1871 hinsichtlich 
Bayerns nur die von der bayerischen Regierung getroffenen Bestim- 
mungen aufgenommen hat. 
Die Abgrenzung der Wahlkreise in Elsaß-Lothringen wurde durch 
das Gesetz vom 25. Juni 1873, 8 6, Abs.2 dem Bundesrate übertragen 
und ist durch Beschluß vom 1. Dezember 1873 (Reichsgesetzbl. S. 373) 
erfolgt. Ebenso wurde die Zuteilung Helgolands zu einem Wahlkreise 
dem Bundesrat durch das Reichsgesetz vom 15. Dezember 189%, 8 4 
(Reichsgesetzbl. S. 207) übertragen; die Insel wurde dem 5. Wahl- 
kreise der Provinz Schleswig-Holstein zugeteilt. Bekanntmachung vom 
16. Mai 1891 (Reichsgesetzbl. S. 111). 
Da die Bevölkerung Deutschlands seit 1867 sich stark vermehrt 
hat und fortwährend wächst, so trifft es längst nicht mehr zu, daß 
auf durchschnittlich 100 000 Seelen ein Abgeordneter kommt; das Ver- 
hältnis ist vielmehr ungefähr 1 zu 150000. Der Bevölkerungszuwachs 
verteilt sich aber keineswegs gleichmäßig auf alle Wahlkreise; er ist 
in den großen Städten und in den Zentralstätten der Industrie und 
des Bergbaus weitaus am größten. Infolge dessen besteht hinsichtlich 
des Wahlrechts und der Interessenvertretung anstatt der im Wahlgesetz 
von 1869 vorausgesetzten Gleichheit eine große Ungleichheit; die Be- 
völkerung der Städte und Industriebezirke ist verhältnismäßig zu 
schwach, die ländliche Bevölkerung zu stark vertreten; ein Wahl- 
berechtigter in einem dünnbevölkerten ländlichen Wahlkreise hat ein 
10- bis 20 mal so großes Stimmgewicht als ein Wahlberechtigter in dem 
rheinisch-westphälischen Industriebezirk, in Hamburg oder Berlin’). 
V. Die Wahlbezirke. Jeder Wahlkreis wird zum Zweck der 
Stimmabgabe in kleinere Bezirke geteilt, welche ebenfalls räumlich 
abgegrenzt sein müssen?).. Die Abgrenzung dieser Bezirke ist den Be- 
hörden der Einzelstaaten überlassen®). Die hierzu nach Maßgabe der 
Aemterorganisation der einzelnen Staaten zuständigen Behörden führt 
das als Anlage D dem Wahlreglement beigefügte Verzeichnis auf‘). 
1) Bei den Reichstagswahlen von 1907 gab es sehr zahlreiche Wahlkreise mit 
12 000 bis 20000 Wahlberechtigten; dagegen hatten Berlin 4 rund 134000, Berlin 6 
195000, Potsdam 10 248000 (!), Arnsberg 5 144000, Hamburg 3 135700 und nicht we- 
nige andere Wahlkreise über 100000 Wahlberechtigte. Während Bayern und die 
preuß. Rheinprovinz ungefähr gleichviel Wahlberechtigte haben, werden in Bayern 
48, in der Rheinprovinz 36 Reichstagsabgeordnete gewählt. Das Reichstagswahlrecht 
ist daher nicht mehr ein gleiches. 
2) Wahlgesetz $ 6, Abs. 2 u. 3. 3) Wahlreglement 8 6. 
4) Reichsgesetzbl. 1870, S.306fg. Es sind regelmäßig für das Land die Kreis- 
behörden (Landrat, Kreisamt), in Bayern die Bezirksämter, in Württemberg der Ober-
	        
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