Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

336 8 34. Die Bildung des Reichstages. Das Wahlrecht. 
der Wahlbeeinflussung ist das Korrelat des allgemeinen, direkten Wahl- 
rechts, und ohne sie ist die Erzielung einer absoluten Stimmenmehr- 
heit der Wähler eines Kreises kaum zu erwarten. Moralisch mögen 
die Mittel, welche zur Beeinflussung der Wähler verwendet werden 
oft recht verwerflich sein; rechtlich ist ein Mittel nur unstatthaft, 
wenn es gesetzlich verboten ist. Die Praxis des Reichstages bei Prü- 
fung der Wahlen ist auch im wesentlichen von dem Grundsatz aus- 
gegangen, daß solche Beeinflussungen von Wahlen, welche nicht gegen 
Strafgesetze verstoßen, für die Gültigkeit der Wahl ohne Belang sind'), 
5. Endlich ist hierher zu zählen die Bestimmung des Art. 21, Abs. 1 
der Reichsverfassung: »Beamte bedürfen keines Urlaubs zum Eintritt 
in den Reichstag.« Diese Bestimmung stellt das allgemeine Wahlrecht 
in der Richtung sicher, daß der durch dasselbe zum Mitglied des 
Reichstages Berufene nicht durch die ihm dienstlich vorgesetzte Be- 
hörde gehindert werden darf, die ihm übertragene Funklion auszu- 
üben. Die Bestimmung enthält keinen anderen Satz, als daß der 
Beamte, welcher seinen Dienst verläßt, um der auf ihn gefallenen 
Wahl Folge zu leisten, keine unbefugte und schuldbare Verletzung der 
Dienstpflichten verübt und daß er keiner Erlaubnis seiner vorge- 
setzten Behörde zum Eintritt in den Reichstag bedarf. Dagegen ent- 
hält dieser Artikel gar nichts über anderweitige Rechtsfolgen, welche 
sich für den Beamten an den Eintritt in den Reichstag knüpfen kön- 
nen, namentlich keine Entscheidung der Frage, ob ein Abzug vom 
Gehalte stattfindet oder dem Beamten die Stellvertretungskosten zur 
Last fallen ?). Für die Reichs beamten ist diese Entscheidung aber 
1) Eingehende Details bei v. Mohla.a. 0O.S. 49ff. Vgl. auch Bamberger 
in v. Holtzendorffs Jahrb. I, S. 160ff. Sehr empfindlich hat sich aber der Reichstag 
wiederholt in dem Falle gezeigt, wenn ein Gendarm die jedem andern Menschen 
freistehende Befugnis, Stimmzettel zu verteilen, ausgeübt hat. Vgl. z. B. Stenogr. 
Berichte 1874 I. Sess., S. 689 ff.; 1874/75 S. 870 ff.; 1878 Bd. 3, S. 975. Weiteres sehr 
reichhaltiges Material aus den Reichstagsverhandlungen bei Seydel S.389fg. Eine 
sehr vollständige Zusammenstellung der vom Reichstage bei Gelegenheit der Wahl- 
prüfungen gefaßten Beschlüsse enthält das von dem Wahlverein der deutschen Kon- 
servativen herausgegebene Heft: Die Ungültigkeit von Reichstagsmandaten und deren 
Verhütung. Berlin 1897. 
2) Der verfassungsberatende Reichstag von 1867 hat einen Antrag, die Befreiung 
der Beamten von den Stellvertretungskosten auszusprechen, verworfen. Stenogr. 
Berichte S. 711. Daraus folgt nicht, daß die einzelnen Regierungen den Beamten 
Gehaltsabzüge machen oder von ihnen die Stellvertretungskosten einziehen müssen 
oder auch nur dürfen, wie Hiersemenzell, S. 84, Thudichum S. 155, Auer- 
bach S. 112 annehmen; ebensowenig aber, daß dies unstatthaft sei, wie Zorn], 
S. 232 annimmt; sondern die Frage ist in jedem einzelnen Staat und für jede Kate- 
gorie von Beamten nach dem partikulären Staats- und Verwaltungsrechte zu entschei- 
den. Vgl. v. Martiz, Betrachtungen S. 82, Note 77; Meyer, Grundzüge S. 100 
und Staatsrecht 8 150, Note 15; Riedel S. 112; v. Rönnel, S. 246; Seydel, 
Kommentar S. 197, Annalen S. 404; v. Mohl S. 352. In Preußen werden die Stell- 
vertretungskosten für die aus Staatsfonds besoldeten Beamten, welche in den Reichs- 
tag eintreten, auf Grund des Staatsministerialbeschlusses vom 4. Oktober 1867 (v.
	        
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