398 8 37. Schutz der Reichstagsmitglieder.
Wird der Reichstag vertagt, so währt die Sitzungsperiode noch fort:
die Regel des Art. 31, Abs. 1 besteht daher auch während der Ver.
tagungsfrist '').
Die Verjährung ruht während der Zeit, in welcher auf Grund
gesetzlicher Vorschrift die Strafverfolgung nicht begonnen oder nicht
fortgesetzt werden kann. Reichsgesetz vom 26. März 1893 (Reichs-
gesetzbl. S. 133).
Auf die Festnahme eines Reichstagsmitgliedes zum Zwecke der
Vollstreckung einer rechtskräftig erkannten Freiheitsstrafe kann die
Vorschrift des Art. 31, Abs. 1 seinem Wortlaute nach keine Anwendung
finden. Ein rechtskräftiges Erkenntnis ist keine »mit Strafe bedrohte
Handlung« eines Reichstagsmitgliedes; die Zusammenstellung der »Ver-
haftung« mit dem »Ziehen zur Untersuchung« deutet darauf hin, daß
der Artikel nur von der Untersuchungshaft redet, und namentlich
kann die Ausnahme, welche sich gleichmäßig auf das Ziehen zur
Untersuchung und die Verhaftung erstreckt, nämlich der Fall der
Ergreifung »bei Ausübung der Tat« oder im Laufe des nächstfolgenden
Tages nur von der Untersuchungshaft, nicht von der Strafvollstreckung
verstanden werden. Sodann wird dies auch durch die Analogie der
im Abs. 3 desselben Artikels enthaltenen Vorschrift bestätigt, wo nur
von einer Unterbrechung der Untersuchungshaft, nicht von der Straf-
vollstreckung die Rede ist.
Dasselbe Resultat ergibt auch die Entstehungsgeschichte dieses
Artikels. In dem verfassungberatenden Reichstage wurde zu Art. 28
des Entwurfs ein Zusatzartikel von zwei verschiedenen Seiten beantragt.
Der Abgeordnete Ausfeld wünschte die Aufnahme eines dem 117
der Reichsverfassung vom 28. März 1849 entsprechenden Zusatzes, der
Abgeordnete Lette empfahl die Anlehnung an die Fassung des Art. 84
der preußischen Verfassungsurkunde vom 31. Januar 1850. Die letztere
Formulierung wurde angenommen, nachdem der Abgeordnete Lette
die zwischen beiden Fassungen bestehenden Unterschiede hervorge-
hoben hatte. (Stenographische Berichte des verfassunggebenden Reichs-
tags 1867, S. 468.) In betreff der hier in Betracht kommenden Frage
besteht aber zwischen beiden Fassungen kein Unterschied. Die
Reichsverfassung von 1849, $ 117 untersagt nur die Verhaftung wegen
»strafrechtlicher Anschuldigung«, und die Verhandlungen der preußi-
schen Nationalversammlung von 1848 über den jetzigen Art. 84 lassen
keinen Zweifel, daß der Ausdruck »verhaftet« in diesem Artikel auf
1) Darüber sind alle Staatsrechtsschriftsteller einverstanden; ebenso hat sich die
Geschäftsordnungskommission des Reichstages wiederholt in diesem Sinne geäußert.
Siehe die Zitate bei G. Meyer, Staatsrecht 8 133, Note 14. Abweichender Ansicht
ist Binding, Handb. des Strafrechts I, S. 680, Note 22, jedoch ohne Begründung,
sowie Frehse in Goltdammers Archiv Bd. 32, S. 861 ff. und Fuld im Archiv für
öff. Recht Bd. 4, S. 347, welche einen Unterschied zwischen „Session“ und „Sitzungs-
periode“ machen wollen. Vgl. dagegen das Urteil des Reichsgerichts in Straf-
sachen vom 25. Februar 1892 (Reger Bd. 12, S. 328).