Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

& 89. Begriff und System der Reichsbehörden. 365 
mehrt, und demgemäß ist die Zahl der zu ihrer Erledigung bestimmten 
Aemter im Lauf der Jahre gewachsen. 
Nach der Verfassung, wie sie bei Gründung des Norddeutschen 
Bundes festgestellt wurde, stand dem Reiche außer der Aufsicht über 
die Selbstverwaltung der Einzelstaaten eine eigene Verwaltung nur zu 
hinsichtlich der Post und Telegraphie und auf Grund der Art. 11 und 
56 die Möglichkeit, eine eigene Verwaltung der auswärtigen Angelegen- 
heiten und des Konsulatswesens einzurichten. Mit der Ausübung der 
dem Reiche zustehenden Gesetzgebungsbefugnis, mit der Ausdehnung 
der Reichsfinanzwirtschaft, mit dem Erwerb von Elsaß-Lothringen und 
von Schutzgebieten, mit der Herstellung einheitlicher Einrichtungen 
haben sich auch zahlreiche laufende Geschäfte, die das Reich unmittelbar 
besorgen muß, herausgebildet, und infolge davon hat sich der Behörden- 
organismus des Reiches mehr und mehr verzweigt. Zueinem prinzipiellen 
Abschluß ist diese Entwicklung noch nicht gelangt; sie trägt, wie alles 
historisch Entstandene, den Charakter des Zufälligen, des Willkürlichen 
und Veränderlichen. 
II. Ein Staatsamt ist ein durch dasöffentliche Recht begrenzter 
Kreis von staatlichen Geschäften‘. Ein Staatsamt ist niemals ein 
Rechtssubjekt und hat niemals Befugnisse irgend welcher Art; es ist 
vielmehr stets eine objektive Institution, ein Inbegriff von Ge- 
schäften. Insoweit staatliche Geschäfte nur durchgeführt werden 
können durch Ausübung der dem Staate zustehenden Hoheitsrechte, 
enthält der Auftrag zur Führung staatlicher Geschäfte zugleich auch 
eine Delegation derjenigen Hoheitsrechte, welche zur Führung der 
Geschäfte erforderlich sind?). Wer daher ein obrigkeitliches 
Staatsamt führt’), der übt immer zugleich die Staatsgewalt aus; aber 
nicht als ein subjektives, ihm persönlich zustehendes Recht, sondern 
1) Vgl. Pözl in Bluntschli und Braters Staatswörterbuch I, S. 204 ff., Artikel 
„Amt“; v. Seybold, Das Institut der Aemter, München 1854, und dazu Zöpflin 
den Heidelberger Jahrbüchern 1854, S. 760 fg.; Löning S. 29; Harseim, Artikel 
„Amt“ in v. Stengels Wörterbuch I, S. 38fg.; v. Rheinbaben in der 2. Auflage I, 
S. 102ff. Otto Mayer, Das Verwaltungsrecht II, S. 198 fg. definiert das Amt als 
einen Kreis von Staatsgeschäften, welche mit öffentlicher Dienstpflicht besorgt wer- 
den — im Gegensatz zur Besorgung von Geschäften durch Personen, welche durch 
einen zivilrechtlichen Dienstvertrag dazu verpflichtet sind. Es ist dies wohl keine 
erhebliche Abweichung von der oben gegebenen Begriffsbestimmung, welche ebenfalls 
die Begrenzung der Amtsgeschäfte durch das öffentl. Recht im Gegensatz zu zivil- 
rechtlichen Rechtsgeschäften betonen will. Ueber die verschiedenen sprachlichen 
Formen und Verwendungen des Wortes siehe die interessanten Zusammenstellungen 
von Rintelen iin der Festgabe für R. Schröder. Weimar 1908, S. 168 ff. 
2) Die in der ersten Auflage dieses Werkes ausgesprochene Meinung, daß mit 
Jedem Staatsamt die Delegation von Hoheitsrechten, d.h. eine obrigkeitliche 
Gewalt, verbunden sei, welche Zorn a.a. 0. adoptiert und auch in der 2. Aufl., S. 288, 
Note 4 festgehalten hat, erkenne ich als unrichtig an. Vgl. G. Meyer 8 106, Note 2. 
3) Den Gegensatz zu dem „obrigkeitlichen“ Staatsamt bilden die fiskalischen, 
technischen, wissenschaftlichen u. dgl. Aemter.
	        
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