$ 39. Begriff und System der Reichsbehörden. 367
Befugnisse, welche eine Behörde bis dahin ausgeübt hat, ihr ganz oder
teilweise entziehen, ohne daß die Behörde ein Widerspruchsrecht
dagegen hat. Wenn ein gewisser Kreis von Geschäften einer Behörde
abgenommen und einer anderen übertragen wird, so finden darauf in
keiner Beziehung die Grundsätze von der Sukzession in Rechte
Anwendung, weder von der Universalsukzession noch von der Singular-
sukzession, denn es hat ein Uebergang subjektiver Rechte überhaupt
nicht stattgefunden. Wenn jemand, sei es eine Privatperson oder eine
andere Staatsbehörde, unbefugter Weise oder mit Ueberschreitung ihrer
Kompetenz in den Geschäftskreis einer Behörde eingreift, so ist dies
nicht die Verletzung eines subjektiven Rechts dieser Behörde oder
ihrer Mitglieder, sondern eine Verletzung der objektiven Rechtsordnung.
Es kann weder durch Privatabmachungen unter den beteiligten Be-
hörden oder Beamten eine derartige Störung der objektiven Grundsätze
über die planmäßige Verteilung der staatlichen Geschäfte gesühnt oder
legalisiert werden, noch hat andererseits die Behörde oder der Beamte
wegen eines Eingriffes in seine Zuständigkeit einen subjektiven Anspruch
auf eine Genugtuung irgend welcher Art.
III. Auf Grund dieser allgemeinen Sätze über das Wesen der Staats-
ämter und Staatsbehörden läßt sich nun der juristische Begriff der
Reichsbehörden und ihre staatsrechtliche Stellung im Verfassungsbau
des Reiches bestimmen.
1. Reichsbehörden sind diejenigen Behörden, welche Geschäfte
des Reiches führen und ihre Autorität unmittelbar von der Reichs-
gewalt ableiten.
Dadurch ist das unterscheidende Merkmal zwischen Reichs- und
Landesbehörden gegeben.
Nicht entscheidend ist der Umstand, ob die Mitglieder der Behörde
Reichsbeamte im Sinne des Reichsbeamtengesetzes sind oder nicht.
Der Begriff der Reichsbeamten, wie ihn dieses Gesetz aufstellt, reicht
zum Teil viel weiter'), zum Teil gibt es Reichsbehörden, deren Mit-
glieder nicht Reichsbeamte sind?). Der Regel nach sind aber die
Mitglieder der Reichsbehörden zugleich Reichsbeamte.
Ebensowenig ist der Umstand entscheidend, ob die Mitglieder der
Behörden vom Kaiser oder in dessen Auftrage ernannt werden oder
nicht. Denn es ist völlig zulässig, daß der Bundesrat oder der Reichstag
Mitglieder der Behörden ernennt’), oder daß die Einzelstaaten befugt
sind, Reichsbehörden zu besetzen*).. Die Regel ist aber auch hier,
1) Siehe unten 8 44.
2) Z.B. die Reichsschuldenkommission, das Kuratorium der Reichsbank, gewisse
Mitglieder des Reichsversicherungsamtes, Patentamts u. a.
3) Nicht bloß sie zur Ernennung dem Kaiser vorschlägt. Auch hier bieten die
Reichsschuldenkommission und das Bankkuratorium Beispiele; ferner die Reichstags-
beamten, die Mitglieder des bayrischen Senats des Reichsmilitärgerichts u. a.
4) Z. B. die unteren Aemter der Post- und Telegraphenverwaltung.