30 8 2. Die Gründung des Norddeutschen Bundes.
eine über die Macht aller Einzelstaaten hinausgehende Rechtssatzung.
Die Gründung des Norddeutschen Bundes, der gleichzeitige Eintritt
der norddeutschen Staaten in denselben war eine Tat, eine Rechts-
handlung der norddeutschen Staaten, die Bundesverfassung das
Gründungsstatut ihrer staatlichen Vereinigung. Kein Staat war imstande,
diese Verfassung bei sich als Landesgesetz einzuführen, wohl aber
konnte jeder Staat in der Form des Gesetzes erklären, daß er am
1. Juli 1867 an der Errichtung des Norddeutschen Bundes Teil nehmen
werde. Nicht die zahlreichen Bestimmungen der Bundesverfassung
sind von jedem Einzelstaat für sein Gebiet als Landesgesetz eingeführt
worden, sondern die Publikationspatente sanktionieren nur einen ein-
zigen Satz, der überall derselbe ist, und der lautet: Der Staat X ge-
hört vom 1. Juli 1867 an zum Norddeutschen Bunde !).
Eben darum aber haben die Publikationspatente keinen bloß ne-
gativen Inhalt, wie Hänel annimmt, indem sie das mit der nord-
deutschen Bundesverfassung in Widerspruch stehende Verfassungsrecht
der Einzelstaaten aufheben. Hänel will für den Norddeutschen Bund
erst die Bahn frei machen, indem er die Hindernisse, welche die
Landesverfassungen bieten, durch die Publikationsgesetze beseitigen
und dann in den geschaffenen freien Raum den Norddeutschen Bund
eintreten läßt. Dies ist undenkbar. Man kann sich keinen Staat auch
nur während einer Sekunde in einem Zustande denken, in welchem
sein Verfassungsrecht insoweit aufgehoben ist, als es mit der Bundes-
verfassung im Widerspruch steht und in welchem der Norddeutsche
Bund doch noch nicht ins Leben getreten ist ?).
1) Mejer, Einleitung S. 301 fg. stimmt der hier gegebenen Erörterung zu, er-
gänzt sie jedoch in der Weise, daß der Eintritt in den Bund eine teilweise Unter-
werfung der mit Preußen verbündeten Staaten unter die preußische Staatsgewalt ge-
wesen sei. Er vindiziert daher dem Publikationsgesetz für Preußen einen teilweise
anderen Inhalt als für die übrigen Staaten; für die letzteren sei die teilweise Inkor-
poration in die preußische Staatsgewalt, für Preußen die Annahme dieser Erweite-
rung der Staatsgewalt ausgesprochen worden. Allein, wenn auch Preußen dadurch
eine hervorragende Stellung erhielt, daß die Befugnisse des Bundespräsidiums (Kaisers)
mit der preußischen Krone untrennbar verbunden wurden, so ist doch die Bundesge-
walt als eine von der preußischen Staatsgewalt rechtlich verschiedene errichtet
worden, der Preußen ebenso wie die übrigen Bundesstaaten sich unterwarf und welche
im Präsidium, Bundesrat und Reichstag ihre eigenen Organe erhielt, die sich nicht
als Organe einer erweiterten preußischen Staatsgewalt auffassen lassen. Aus den-
selben Gründen hat sich bereits Zorn in Grünhuts Zeitschrift Bd. 12, S. 479 fg. gegen
Mejer erklärt. Neuerdings hat Kittel, Die preuß. Hegemonie, München 1896, den
Versuch wiederholt, die Reichsverf. auf Grundlage der Hegemonie Preußens zu kon-
struieren.
2) Nach Hänel S. 77 trat erst am 26. Juli 1867 durch das Publikandum des
Königs von Preußen der neue Bund an die Stelle des Bündnisvertrages vom 18. Au-
gust 1866; dagegen die Aufhebung der partikulären Landesverfassungs-Rechtssätze,
welche mit der norddeutschen Bundesverfassung kollidieren, trat am 1. Juli 1867 ein,
so daß ein Zwischenraum von 26 Tagen bleibt. Binding, S. 48, 49, 59, meint, daß
die sämtlichen deutschen Regierungen die Erklärung ihres übereinstimmenden Willens