Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

406 8 42. Die selbständigen Reichsfinanzbehörden. 
vom 31. Mai 1891 (Reichsgesetzbl. S. 321) und 31. Mai 1910 (Reichs- 
gesetzbl. S. 840). 
Auf die amtliche Tätigkeit und staatsrechtliche Stellung der Reichs- 
schuldenverwaltung findet das preußische Gesetz vom 24. Februar 1850 
(preußische Gesetzsammlung S. 57) Anwendung. Durch den 8 6 dieses 
Gesetzes ist festgesetzt, daß die Hauptverwaltung der Staatsschulden 
für eine Reihe der wichtigsten ihr obliegenden Geschäfte sunbe- 
dingt verantwortlich« ist; in allen übrigen Beziehungen aber 
ist es ihr zur Pflicht gemacht, den Anordnungen und Anweisungen 
des Finanzministers Folge zu leisten‘). Der Präsident und die Mitglie- 
der der Hauptverwaltung der Staatsschulden müssen vor Antritt ihres 
Amtes in Öffentlicher Sitzung des Oberverwaltungsgerichts einen Eid 
schwören, daß sie sich von Erfüllung ihrer Pflichten und der ihnen 
mit eigener Verantwortlichkeit übertragenen Obliegenheiten durch 
keine Anweisungen oder Verordnungen irgend einer Art abhalten 
lassen wollen ?). 
Für die Reichsschuldenverwaltung ist an die Stelle des preußischen 
Finanzministers der Reichskanzler getreten; es ist aber der Kreis 
der im $ 6 zit. aufgeführten Geschäfte noch darauf erstreckt worden, 
daß eine Umwandlung der Schuldverschreibungen nur auf Grund eines 
Gesetzes, und nachdem die etwa erforderlichen Mittel bewilligt sind, 
vorgenommen werden darf?). 
Der Direktor und die Mitglieder der Hauptverwaltung der Staats- 
schulden haben zu Protokoll zu erklären, daß sie den von ihnen nach 
8 9 des preußischen Gesetzes geleisteten Eid auch für die Verwaltung 
der Reichsschulden als maßgebend anerkennen !). 
Durch die im Vorstehenden erwähnten gesetzlichen Bestimmungen 
ist einerseits die Reichsschuldenverwaltung hinsichtlich des ihr ob- 
liegenden Geschäftskreises mit einer Unabhängigkeit dem Reichskanzler 
gegenüber ausgestattet, welche anderen Verwaltungsbehörden nicht zu- 
kommt, indem sie Anordnungen des Reichskanzlers, welche mit den 
gesetzlichen Vorschriften nicht in Einklang stehen, keine Folge leisten 
darf; andererseits ist die Verantwortlichkeit des Reichskanzlers ausge- 
schlossen, soweit die eigene, unbedingte Verantwortlichkeit der Reichs- 
schuldenverwaltung reicht. 
Die Stellung dieser Finanzbehörde zum Reichskanzler ist daher 
verschieden sowohl von der Stellung der Verwaltungsbehörden als von 
der Stellung der richterlichen Behörden. Auf die Geschäftsführung der 
1) Vgl. v. Rönne, Preuß). Staatsrecht I, 1, S. 449 ff. 
2) Preuß. Gesetz vom 24. Februar 1850, $ 9 (Ges.-Sammlung S. 59). Nach diesem 
Gesetz war der Eid vor dem Obertribunal zu leisten; an die Stelle desselben ist durch 
das preuß. Gesetz zur Ausführung der Reichsjustizgesetze vom 29. Januar 1877 das 
Oberverwaltungsgericht gesetzt worden. 
3) Gesetz vom 19. Juni 1868, 8 1; Reichsschuldenordn. 8 9. 
4) Gesetz vom 19. Juni 1868, $ 3; Reichsschuldenordn. $ 11.
	        
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