$ 42. Die selbständigen Reichsfinanzbehörden. 407
ersteren hat der Reichskanzler vollen und entscheidenden Einfluß,
sie sind staatsrechtlich lediglich seine Bureaus; auf die Geschäftsfüh-
rung der letzteren hat der Reichskanzler materiell gar keinen Einfluß,
sie entscheiden ganz selbständig nach Maßgabe der Gesetze. Die Reichs-
schuldenverwaltung dagegen steht unter der »oberen Leitung« des
Reichskanzlers und kann daher von ihm Anweisungen erhalten, welche
von ihr befolgt werden müssen; aber die Reichsschuldenverwaltung
hat das Recht und die Pflicht, selbständig und unabhängig
zu prüfen, ob die Anordnung des Reichskanzlers in Uebereinstimmung
mit den gesetzlichen Vorschriften sich befindet.
II. Die Verwaltung des Reichsinvalidenfonds. In
dem Gesetz vom 23. Mai 1873 (Reichsgesetzbl. S. 117), durch welches
die Gründung des Invalidenfonds im Beirage von 187 Millionen Talern
erfolgt ist, wird zur Verwaltung desselben die Errichtung einer Behörde
angeordnet (8 11), »welche von der allgemeinen Finanzverwaltung ab-
gesondert und selbständig sein, jedoch der oberen Leitung des
Reichskanzlers insoweit unterliegen soll, als dies mit der ihr nach $ 12
dieses Gesetzes beigelegten Unabhängigkeit vereinbar ist«.
Die Verwaltung des auf Grund des Zolltarifgesetzes vom 25. Dez.
1902, 8 15 gebildeten »Hinterbliebenen-Versicherungsfonds« wurde dieser
Behörde durch das Reichsgesetz vom 8. April 1907, $ 2 ebenfalls über-
tragen. Nachdem jedoch der Invalidenfonds fast gänzlich aufgebraucht
war, wurde die in Rede stehende Behörde am 1. Oktober 1909 aufge-
löst und die Verwaltung des noch vorhandenen Restes des Invaliden-
fonds und des Hinterbliebenenversicherungsfonds dem Reichskanz-
ler nach den für diese Fonds geltenden Vorschriften übertragen. Bei
dem gemeinsamen Verschlusse der Wertpapiere wirken zwei Mitglieder
der Reichsschuldenkommission mit, von denen das eine dem Bundes-
rate, das andere dem Reichstage angehört!).
IH. Die Reichsschuldenkommission. Auch diese Be-
hörde ist eine vollkommene Nachbildung der preußischen Staatsschul-
denkommission ?). In den Behördenorganismus des Reiches ist sie
eingefügt worden durch das Gesetz vom 19. Juni 1868, dessen Bestim-
mungen mit einigen Abänderungen in die Reichsschuldenordnungs$ 12 ff.
übergegangen sind. Sie besteht jetzt aus sechs Mitgliedern des Bundes-
rates und zwar aus dem jedesmaligen Vorsitzenden oder seinem Stell-
vertreter und fünf Mitgliedern des Ausschusses für das Rechnungs-
wesen, aus sechs Mitgliedern des Reichstages und bis zur Errichtung
einer eigenen Rechnungsbehörde für das Reich aus dem Chefpräsidenten
des Rechnungshofes ?). Der Bundesrat wählt jährlich die von ihm zu
deputierenden Mitglieder, was darauf beruht, daß die Ausschüsse des
Bundesrates für jede Session neu gebildet werden; die aus dem Reichs-
1) RG. v. 1. Juni 1909 (RGBI. S. 469).
2) Vgl. das preuß. Gesetz vom 24. Februar 1850, $ 1.
3) Reichsschuldenordn. $ 12.