Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

8 42. Die selbständigen Reichsfinanzbehörden. 409 
Folge 8 3 des erwähnten Gesetzes führt die Oberrechnungskammer die 
ihr obliegende Kontrolle des Bundeshaushalts nach Maßgabe der- 
jenigen Vorschriften, welche für ihre Wirksamkeit als preußische 
Rechnungsrevisionsbehörde gegenwärtig (1868) gelten. »Dieselben Rechte 
und Pflichten, welche ihr in dieser letzteren Eigenschaft den preußi- 
schen Behörden und Beamten gegenüber beigelegt sind, stehen ihr in 
ihrer Eigenschaft als Rechnungshof des Norddeutschen Bundes den 
Bundesbehörden und Beamten gegenüber zu.« Der Bundeskanzler 
erläßt im Einvernehmen mit dem Bundesrate eine Instruktion für die 
Oberrechnungskammer als Rechnungshof des Norddeutschen Bundes 
($ 5 des zit. Gesetzes). Die Bestimmungen des Gesetzes vom 4. Juli 1868 
sind dann von Jahr zu Jahr wiederholt und erstreckt worden, unter 
Veränderung der Benennung in »Rechnungshof des Deutschen Reiches«. 
Nachdem jedoch in Preußen ein Gesetz vom 27. März 1872 über 
die Oberrechnungskammer erlassen worden ist!), sind die Bestimmungen 
dieses Gesetzes an die Stelle der älteren, im $ 3 des Gesetzes vom 
4. Juli 1868 aufgeführten Vorschriften getreten?). Eine in Ueberein- 
stimmung mit diesen gesetzlichen Bestimmungen stehende Instruktion 
ist am 5. März 1875 vom Reichskanzler erlassen worden). Eine Ver- 
einfachung der Rechnungsvorschriften ist durch das Reichskontroll- 
gesetz v. 21. März 1910 (Reichsgesetzbl. S. 521) bewirkt geworden, 
welches zugleich im $ 1 die Oberrechnungskammer für die 5 Jahre 
von 1910—1914 mit der Rechnungsprüfung betraut hat. 
Die staatsrechtliche Stellung des Rechnungshofes im Behörden- 
organismus des Reiches bestimmt sich demnach nach Analogie der im 
preußischen Gesetz vom 27. März 1872 enthaltenen Anordnungen. 81 
desselben bezeichnet die Oberrechnungskammer als eine dem Könige 
unmittelbar untergeordnete, den Ministern gegenüber selbständige Be- 
hörde. Demgemäß steht der Rechnungshof nicht unter der »oberen 
Leitung« des Reichskanzlers; er ist ihm gegenüber vielmehr unabhängig 
und nur dem Kaiser unmittelbar untergeben. 
Für die Prüfung der dem Reichstage vorzulegenden allgemeinen 
Rechnungen und die von dem Rechnungshof aufzustellenden Bemer- 
kungen über dieselben trägt der Rechnungshof nach $18a.a.0. »die 
selbständige, unbedingte Verantwortlichkeit«, wodurch die Verantwort- 
lichkeit des Reichskanzlers für die von dem Rechnungshof geführten 
Geschäfte ausgeschlossen ist. 
Der Rechnungshof hat demnach dem Reichskanzler und den üb- 
rigen Reichsbehörden gegenüber eine ebenso unabhängige Stellung wie 
ein oberster Gerichtshof. Dieselbe ist dadurch gesichert, daß die Mit- 
1) Preuß. Gesetzsammlung 1872, S. 2781. 
2) Reichsgesetz vom 11. Februar 1875 (Reichsgesetzbl. S. 61). Reichsges. vom 
21. März 1910, 8 2. 
3) Abgedruckt im Zentralblatt für das Deutsche Reich 1875, S. 157 ff. Durch 
dieselbe ist die ältere Instruktion für den Rechnungshof des Norddeutschen Bundes 
vom 28. Mai 1869 aufgehoben worden ($ 40).
	        
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