82. Die Gründung des Norddeutschen Bundes. 35
und die Unterwerfung der Einzelstaaten unter die von ihnen neu ge-
ründete Bundesstaatsgewalt war ein und dieselbe Tat der Einzel-
staaten ').
Jellinek?) hat darauf hingewiesen, daß es überhaupt unmöglich
sei, die Entstehung des Staates juristisch zu konstruieren, weil der
Staat als Voraussetzung der Rechtsordnung nicht durch einen Satz der
erst von ihm Sanktion empfangenden Ordnung erklärt werden kann.
»Alle Vorgänge, durch welche die Schöpfung eines Staates erfolgt, ent-
behren der juristischen Qualifikation, es sind Fakta, welche historisch,
aber nicht mit einer juristischen Formel begriffen werden können.«
(S. 264.) »Das wesentlichste Moment im Begriffe des Staates ist, daß
er Ordnung ist, und eine Ordnung vor der Ordnung ist ein Wider-
spruch in sich selbst. Daher ist die erste Ordnung, die erste Verfas-
sung eines Staates juristisch nicht weiter ableitbar.« (S. 266.) Dies ist
richtig, aber nur mit einer Einschränkung. Die erste Ordnung oder
Verfassung eines Staates ist aus der von ihm gesetzten Rechtsord-
nung nicht ableitbar; die Entstehung des Staates an sich, d. h. die Ent-
wicklung einer öffentlichen Gewalt aus einem vorstaatlichen, der Rechts-
ordnung überhaupt baren Zustande ist daher juristisch unerfaßbar.
Allein anders verhält es sich, wenn eine anerkannte Rechtsordnung
vorhanden ist und eine Staatsgewalt bereits besteht, an die Stelle der
bisherigen staatlichen Gestaltung aber eine neue gesetzt wird. Hier
können die Vorgänge, welche zur Aufrichtung der neuen Staatsgewalt
führen, allerdings rechtlich erfaßt und qualifiziert werden; freilich nicht
nach der (noch gar nicht vorhandenen) Rechtsordnung des neuen
Staatsgebildes, wohl aber nach den Rechtsvorschriften der bereits be-
stehenden Staatsordnung, unter deren Herrschaft sich diese Vorgänge
vollziehen %). Mit Rücksicht auf die letztere können die Gründungs-
vorgänge des neuen Staates als Usurpation, Revolution, Gewaltakt und
Rechtsbruch oder als legitime, ihre Kraft aus dem Recht herleitende
Handlungen erscheinen. Zwar ist auch die auf einem nicht legitimen
Wege entstandene Staatsordnung kraft ihrer tatsächlichen Existenz von
Wirksamkeit und kann zur Rechtsordnung werden; aber daraus folgt
1) Gierke in Schmollers Jahrb. Bd. 7, S. 1154 charakterisiert den Gründungs-
vorgang als einen „chöpferischen Akt, der nach rückwärts hin als vielheit-
liche Handlung einer damit ihre Getrenntheit aufgebenden Individuensumme und
nach vorwärts hin als einheitliche Handlung einer damit ihre Verbundenheit setzen-
den Gesamtheit erscheint“. Es wäre wohl nicht unmöglich, dies etwas einfacher und
verständlicher auszudrücken. Auch Binding a. a. O. S.70 kommt am Ende seiner
Deduktionen zu dem Schluß, daß der Norddeutsche Bund und seine Verfassung ihre
Rechtsgültigkeit aus „der gemeinsamen Tat ihrer Gründer“ schöpften. In „das My-
sterium“ dieser Tat will er aber nicht tiefer einzudringen versuchen, was sehr zu be-
dauern ist, da dieses gerade das eigentliche wissenschaftliche Problem ist.
2) Die Lehre von den Staatenverbindungen, Wien 1882, S. 253 ff. Aehnlich Liebe,
Zeitschr. f. Staatswissenschaft Bd. 38 (1882), S. 634 ff.; Zorn S. 30, Anm. 30.
3) Zustimmend Fleiner, Die Gründung des Schweizerischen Bundesstaates im
Jahre 1848. Basel 1898. S. 27.