Full text: Das Staatsrecht des Deutschen Reiches. Erster Band. (1)

460 8 47. Die Pflichten und Beschränkungen der Reichsbeamten. 
2. Die Pflichtzum Gehorsam findet in der oben entwik- 
kelten rechtlichen Natur des Staatsdienstvertrages ebensowohl ihre 
Begründung als ihre Beschränkung. Das systematische oder, wenn 
man den Ausdruck vorzieht, das organische Zusammenwirken der 
Behörden, die Einheit und Ordnung in der Verrichtung der staatlichen 
Geschäfte, die Leitung der Regierung durch den Kaiser und den von 
ihm ernannten Reichskanzler und die anderen Chefs der Ressortver- 
waltungen könnten ohne die Pflicht aller Reichsbeamten, den vorge- 
setzten Behörden oder Beamten gehorsam zu sein, nicht bestehen. 
Durch den Staatsdienstvertrag wird für den Staat nicht ein Forderungs- 
recht, sondern eine Gewalt begründet und der Beamte verpflichtet sich 
nicht bloß, Arbeit zu leisten, sondern zu gehorchen. 
Aber die Verpflichtung des Beamten ist beschränkt auf die Erfül- 
lung amtlicher Geschäfte; er dient nicht dem Vorgesetzten, 
sondern mit diesem gemeinsam dem Staate; er tritt in den Staats- 
dienst ein, um ein staatliches Amt zu übernehmen; welche Geschäfte 
aber einem Amte zufallen, normiert der Staat. Der Beamte ist daher 
nicht verpflichtet, Geschäfte auszuführen, welche entweder tatsächlich 
oder aus Rechtsgründen keine amtlichen sind oder sein können!). 
Der 8 10 des Reichsbeamtengesetzes beschränkt demgemäß die Ver- 
pflichtung des Beamten dahin, daß er das ihm übertragene Amt der 
Verfassung und den Gesetzen entsprechend gewissen- 
haft wahrnehme. 
Geringe Schwierigkeiten macht die Einschränkung, daß der Beamte 
solchen Anordnungen der vorgesetzten Behörde nicht nachzukommen 
braucht, welche tatsächlich nicht amtliche Geschäfte zum Inhalte haben, 
z.B. Anforderungen eines höheren Beamten an Unterbeamte zur Leistung 
von häuslichen Diensten, oder Anordnungen, die in das Privatleben 
des Beamten eingreifen, z. B. eine gewisse Zeitung zu halten oder nicht 
zu halten oder die Kirche zu besuchen u. dgl. Die Nichtbefolgung 
solcher Vorschriften ist keine Verletzung der Dienstpflicht,; ebenso- 
wenig ist aber dem Beamten ihre freiwillige Befolgung verwehrt 
oder für ihn mit Rechtsnachteilen verbunden. 
Bei weitem wichtiger und schwieriger ist die juristische Fixierung 
der anderen Einschränkung, daß der Beamte Anordnungen der vor- 
gesetzten Behörde nicht zu befolgen verbunden ist, welche zwar ihrem 
Inhalte nach Amtsgeschäfte betreffen, welche aber aus Rechtsgründen 
ihm nicht aufgetragen werden dürfen. Geschäfte, zu deren Vor- 
nahme eine Behörde nach den bestehenden Rechtsvorschriften nicht 
befugt ist oder die ihr ausdrücklich untersagt sind, können keine 
Amtsgeschäfte sein, da das Staatsamt seinem Begriffe nach 
ein vom Staate zugewiesener und begrenzter Inbegriff von Geschäften 
ist. Die Befolgung solcher Befehle ist daher für den Beamten keine 
1) Vgl. Pfeiffer, Prakt. Ausf. III, S. 375 ff.
	        
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